Weites wildes Land
und zu warten. Ich habe mir gedacht, daß mir so nahe am Stamm nichts mehr passieren würde.« Erst jetzt sah Sibell, daß Maudies linker Arm reglos herabhing. »O Gott, Ihre Schulter ist auch verletzt.« »Ausgerenkt«, stöhnte Maudie mit zusammengebissenen Zähnen. »Sie müssen furchtbare Schmerzen haben. Kann ich denn überhaupt nichts für Sie tun?« »Ich glaube nicht. Ich bleibe hier ganz still sitzen. Ich darf gar nicht daran denken, daß man mich nachher in den Wagen hebt. Aber irgendwie muß ich ja nach Hause kommen.« »Ich passe auf, daß sie vorsichtig mit Ihnen umgehen«, sagte Sibell. Aber Maudie hatte schon die Augen geschlossen. Sie wirkte erschöpft, also ließ Sibell sie ruhen. Nach einer Weile fragte Maudie: »Ist das Pferd zu Hause angekommen?« »Ja, es war schon fast am Gatter.« »Gut«, sagte Maudie müde. »Ich mußte mit Steinen nach ihm werfen, damit es überhaupt loslief. Nachdem es mich abgeworfen hatte, ist es aus lauter Schuldbewußtsein bei mir geblieben.« »Die Männer haben die ganze Nacht nach Ihnen gesucht«, erklärte Sibell. Aber Maudie konnte ihr offensichtlich nicht mehr folgen. Sibell wusch ihr erneut das Gesicht und begann ganz langsam und vorsichtig, ihr die Stiefel auszuziehen.
* * *
Maudie hörte Sibell zu, die ihr das Ergebnis der letzten Viehzählung vorlas. »So ein Unsinn! Da draußen sind noch viel mehr Kälber. Außerdem sind die Rinder an der südwestlichen Grenze nicht zusammengetrieben.« »Casey sagt, das sei erledigt.« »Casey ist zu nachlässig mit den Männern. Die können ihm alles erzählen. Egal, ob Zack jetzt zurückkommt oder die Regenzeit anfängt, wir sitzen im Schlamassel, wenn wir da keine Ordnung reinbringen. Die Kälber müssen ihr Brandzeichen haben, oder aber sie sind Freiwild für Diebe. Außerdem geben wir ein schlechtes Bild ab, wenn bei uns die Rinder drei Monate durch den Busch streifen und wir nicht einmal wissen, wie viele es sind. Diese Taugenichtse.« Maudie war auf das Sofa im Büro gebettet, das Bein geschient und den linken Arm an den Körper gebunden, um die ausgerenkte Schulter ruhig zu stellen. Sie hatte die Fahrt zurück auf die Farm mit einer Geduld ertragen, die Sibell erstaunte. Zu Hause hatten sie dann sogar das Laudanum ausgeschlagen, das Casey und Sam Lim ihr geben wollten, bevor sie das Bein richteten. Sibell konnte es nicht fassen. »Haben Sie damit überhaupt Erfahrung?« fragte sie Casey. »Wir müssen es versuchen«, antwortete er. »Es dauert Tage, bis Doktor Brody hierher kommen kann, und wenn das Bein schief zusammenwächst, muß er es nachher noch mal brechen.« »Wie furchtbar! Haben Sie so was schon mal gemacht?« »Ja, aber nicht bei einer Dame. Und nicht bei jemand wie Maudie. Wenn wir es nicht hinkriegen, bringt sie uns um.« »Ich finde, Sie sollten das Laudanum nehmen«, sagte Sibell zu Maudie. Doch die ließ sich nicht umstimmen. »Auf keinen Fall. Das ist mein Bein, und ich möchte sehen, was sie damit anfangen. Aber Sie können mir einen Whisky bringen, einen doppelten.« Ungeniert schrie sie dann ihren Schmerz heraus. Und sie brüllte auch die Männer an, denen vor Angst der Schweiß ausbrach, als sie das Bein richteten. Als es dann endlich geschient war, wies Maudie die beiden an, Lederriemen zu holen und ihr den Arm an den Körper zu binden. Dann legte sie sich zurück und wartete, daß sich der Schmerz beruhigte. »Ich brauche noch einen Schluck Whisky«, sagte sie zu Sibell, die sich beeilte, ihrem Wunsch nachzukommen. »Ich finde Sie unglaublich tapfer«, sagte Sibell. »Ich hätte das Laudanum genommen.« »Nicht tapfer«, seufzte Maudie mit vor Erschöpfung schwacher Stimme. »Ich muß mich von dem Zeug immer übergeben.« Sie lächelte benommen. »Aber meine Mutter, die war wirklich tapfer. Sie wurde von einer giftigen Natter gebissen, und zwar weitab von jeder Stadt. Und da man in einem solchen Fall nicht viel unternehmen kann, hat sie sich den Finger abgehackt.« »Was hat sie getan?« »Sich den Finger abgehackt. Mit einem Beil. Gleich hier, oberhalb vom Gelenk.«
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Sibell wußte, daß es nichts änderte, wenn sie ständig in das Journal starrte. Wenn sich darin ein Fehler befand, mußte etwas unternommen werden. Doch sie konnte nicht begreifen, was Maudie mit ihren Klagen meinte, oder genauer gesagt, verstand sie nicht, woher Maudie wußte, daß es da draußen Unregelmäßigkeiten gab. »Drei Monate?« fragte sie nach. »Warum muß das Vieh dann drei
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