Wellenbrecher
wälzte sie sich aus dem Bett und schlüpfte in ihren Morgenrock. Mit Kindern würde ich wahrscheinlich klarkommen, dachte sie. Aber mit einem Ehemann... niemals!
Sie machte Licht im Flur und öffnete die Tür zu Hannahs Zimmer. Ein Lichtstrahl fiel auf das Kinderbett, und ihre Besorgnis legte sich augenblicklich. Das Kind saß reglos im Bett, den Daumen im Mund, und starrte sie aus weit offenen Augen mit dem ihm eigenen seltsam eindringlichen Blick an. Wenn es sie erkannte, so ließ es sich jedenfalls nichts davon anmerken. Statt dessen blickte es durch sie hindurch, als sähe es Bilder hinter der Frau, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Griffiths erkannte, daß die Kleine fest schlief. Das also war die Erklärung für das Gitterbett und die Schlösser an allen Türen. Sie sollten eine kleine Schlafwandlerin vor Gefahren schützen, nicht die Abenteuerlust eines hellwachen Kindes unterdrücken.
Von draußen, gedämpft durch geschlossene Türen, hörte sie das Geräusch eines anspringenden Motors, dann das Krachen der Gangschaltung und das Knirschen von Reifen auf dem Kiesweg. Was zum Teufel hatte dieser Verrückte jetzt wieder vor? Glaubte er allen Ernstes, das Jugendamt würde es wohlwollend aufnehmen, wenn er seine kleine Tochter mitten in der Nacht allein ließ? Oder war das vielleicht der Sinn und Zweck der Übung? Hatte er beschlossen, sich der Verantwortung ein für allemal zu entledigen?
Müde lehnte sie sich an den Türpfosten und betrachtete voller Mitgefühl das blonde kleine Mädchen mit den leeren Augen, das seiner Mutter so ähnlich sah. Sie erinnerte sich wieder an den Kommentar des Arztes, als er die zertrümmerten Fotos im offenen Kamin gesehen hatte. »Sie ist wütend auf ihre Mutter, weil sie sie verlassen hat... das ist ein völlig normaler Ausdruck des Schmerzes... Sorgen Sie dafür, daß der Vater ihr viel Zärtlichkeit gibt… das ist das beste Mittel, um die Lücke zu füllen.«
William Sumners Verschwinden erregte zwar ein gewisses Aufsehen, als Griffiths ihre Kollegen davon unterrichtete, aber wenig echtes Interesse. Wie so oft in seinem Leben war Sumner unwichtig geworden. Statt dessen richtete sich das allgemeine Augenmerk jetzt auf Beatrice »Bibi« Gould, die in Tränen ausgebrochen war und sich im Badezimmer verbarrikadiert hatte, als am Samstag morgen um sieben die Polizei im Haus ihrer Eltern erschienen war, um sie zur Vernehmung nach Winfrith zu bringen. Erst als man ihr mit sofortiger Festnahme wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt drohte und ihr zusicherte, daß ihre Eltern sie begleiten dürften, kam sie endlich heraus. Ihre panikartige Reaktion schien den Umständen völlig unangemessen, und auf die Aufforderung, sie zu erklären, sagte sie: »Jetzt werden alle eine Mordswut auf mich haben.«
Auch Steven Harding wurde nach einem kurzen Auftritt vor Gericht wegen der gegen ihn vorliegenden Anzeige zur neuerlichen Vernehmung nach Winfrith zitiert. Er wurde von einem gähnenden Nick Ingram chauffiert, der die Gelegenheit nutzte, um dem unreifen jungen Mann an seiner Seite ein paar nackte Tatsachen klarzumachen. »Nur um das mal festzuhalten, Mr. Harding, ich würde Ihnen sämtliche Knochen brechen, wenn diese Fünfzehnjährige, die Sie geschwängert haben, meine Tochter wäre. Nein, ich würde Ihnen schon die Knochen brechen, wenn Sie sie nur anrühren würden.«
Harding blieb uneinsichtig. »Die Zeiten haben sich geändert. Man kann jungen Mädchen heute nicht mehr vorschreiben, wie sie sich zu benehmen haben. Sie entscheiden selbst.«
»Sie sollten mir besser zuhören. Ich sagte, ich würde Ihnen die Knochen brechen, nicht meiner Tochter. Glauben Sie mir, wenn ich je einen vierundzwanzigjährigen Kerl dabei erwischen sollte, daß er mein Kind in den Dreck zieht, wird der Bursche hinterher wünschen, er hätte seinen Reißverschluß nie aufgemacht.« Aus dem Augenwinkel sah er, daß Harding zu einer Erwiderung ansetzte. »Und erzählen Sie mir nicht, sie hätte es ebensosehr gewollt wie Sie«, fuhr er ihn an, »sonst brech ich Ihnen obendrein noch das Genick. Jeder kleine Hosenscheißer kann ein leicht beeinflußbares junges Mädchen beschwatzen, mit ihm zu schlafen, wenn er ihr Liebe verspricht. Ein Mann dagegen würde ihr die Zeit lassen zu prüfen, ob das Versprechen auch etwas wert ist.«
Bibi Gould wollte ihren Vater nicht mit im Vernehmungszimmer haben, bat jedoch ihre Mutter, bei ihr zu bleiben und ihr Beistand zu leisten. Superintendent Carpenter
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