Wellenbrecher
hin, als könnte er verdrängen, was geschehen war, wenn er nur das Bild nicht mehr sah. »Ich verstehe das nicht«, sagte er schroff. »Meine Frau wäre nie ohne Hannah irgendwo hingegangen, und sie hat Boote gehaßt. Ich hatte früher, als wir noch in Chichester wohnten, eine Contessa 32, aber ich konnte sie nie dazu überreden, mit rauszufahren. Sie hatte Angst, wir würden auf hoher See kentern und ertrinken.« Er schlug wieder die Hände vors Gesicht, als ihm bewußt wurde, was er gesagt hatte.
Galbraith ließ ihm einen Moment Zeit, sich wieder zu fassen. »Was haben Sie mit dem Boot gemacht?«
»Ich habe es vor zwei Jahren verkauft und das Geld für die Anzahlung auf unser Haus verwendet.« Er verfiel wieder in Schweigen. Galbraith drängte ihn nicht. »Ich versteh das alles nicht«, sagte er wieder, voller Verzweiflung. »Am Freitag abend hab ich noch mit ihr gesprochen, da ging es ihr gut. Wie kann sie achtundvierzig Stunden später plötzlich tot sein?«
»Es ist immer sehr viel schlimmer, wenn wir überraschend mit dem Tod konfrontiert werden«, sagte Galbraith mitfühlend. »Dann bleibt uns keine Zeit, uns darauf vorzubereiten.«
»Aber ich kann es einfach nicht glauben! Ich meine, wieso hat niemand versucht, sie zu retten? Man läßt doch einen Menschen nicht einfach im Stich, wenn er über Bord geht.« Er blickte erschrocken auf. »O Gott, sind noch andere Menschen ertrunken? Sie werden mir doch nicht sagen, daß sie auf einem Boot war, das kenterte? Das war ihr schlimmster Alptraum.«
»Nein, es spricht nichts dafür, daß etwas Derartiges geschehen ist.« Galbraith beugte sich vor, um den Abstand zwischen ihnen zu verringern. Sie saßen auf steiflehnigen Stühlen in einem leeren Büro in der ersten Etage, und er hätte sich eine freundlichere Umgebung für ein solches Gespräch vorstellen können. »Wir glauben, daß Ihre Frau ermordet wurde, Mr. Sumner. Der Polizeipathologe, der die Obduktion durchgeführt hat, ist der Überzeugung, daß sie vergewaltigt wurde, bevor sie mit voller Absicht ins Meer geworfen wurde. Ich weiß, das muß ein grauenhafter Schock für Sie sein, aber ich versichere Ihnen, daß wir rund um die Uhr arbeiten, um ihren Mörder zu finden, und wenn wir irgend etwas tun können, um Ihnen die Situation zu erleichtern, können Sie selbstverständlich auf uns zählen.«
Sumner war offensichtlich im Moment überfordert. Mit einem erstaunten Lächeln, das Kerben in sein schmales Gesicht schnitt, starrte er den Kriminalbeamten an. »Nein«, sagte er, »das muß ein Mißverständnis sein. Das kann nicht meine Frau gewesen sein. Niemals wäre sie mit einem Fremden mitgegangen.« Zaghaft streckte er die Hand nach dem Foto aus und begann zu weinen, als Galbraith es herumdrehte, so daß er es sehen konnte.
Der Mann war so erschöpft, daß er mehrere Minuten brauchte, um sich wieder in die Gewalt zu bekommen, aber Galbraith tat nichts. Er wußte aus Erfahrung, daß Mitleid den Schmerz nur verschlimmerte, statt ihn zu lindern. Ruhig sah er zum Fenster hinaus, den Blick auf den Park und die dahinterliegende Bucht von Poole gerichtet, und er reagierte erst, als Sumner wieder zu sprechen begann.
»Entschuldigen Sie«, sagte Sumner mit gepreßt klingender Stimme. »Ich muß nur ständig daran denken, was für eine entsetzliche Angst sie gehabt haben muß. Sie war keine besonders gute Schwimmerin, deswegen wollte sie auch nie mit hinausfahren.«
Galbraith vermerkte das. »Wenn es Ihnen ein Trost ist - sie hat alles getan, um sich zu retten. Die Erschöpfung hat sie besiegt, nicht das Meer.«
»Wissen Sie, daß sie schwanger war?« Seine Augen wurden wieder feucht.
»Ja«, antwortete Galbraith ruhig, »und es tut mir sehr leid.«
»War es ein Junge?«
»Ja.«
»Wir hatten uns einen Sohn gewünscht.« Er zog ein Taschentuch heraus und drückte es einen Moment an die Augen, bevor er unvermittelt aufstand und zum Fenster ging. Dort blieb er mit dem Rücken zu Galbraith stehen. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte er dann mit völlig emotionsloser Stimme.
»Sie können mir von ihr erzählen. Wir müssen alles über sie wissen, was Sie uns sagen können - die Namen ihrer Freunde, wie gewöhnlich ihr Tag verlief, wo sie eingekauft hat. Je mehr wir wissen, desto besser.« Er wartete auf eine Antwort, die nicht kam. »Vielleicht möchten Sie damit lieber bis morgen warten? Ich kann mir vorstellen, daß Sie sehr müde sind.«
»Ich glaube, mir wird schlecht.« Sumner wandte ihm sein
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