Wellenbrecher
William und Hannah Sumner nach Hause zu schicken, beruhte auf zwei Faktoren. Zum einen war es das ungünstige psychologische Gutachten über das Kind, das es dringend angeraten erscheinen ließ, weiterhin über sein Wohlergehen zu wachen. Zum anderen waren es die über viele Jahre hinweg gesammelten Ergebnisse von Beweisaufnahmen, die zeigten, daß eine verheiratete Frau in den meisten Fällen von ihrem Ehemann ermordet wurde und nicht von einem Fremden. Wegen der Entfernungen und aufgrund von Zuständigkeitsproblemen - Poole gehörte zum Polizeibezirk Dorset und Lymington zum Polizeibezirk Hampshire - würde Griffiths eine ganze Reihe von Überstunden in Kauf nehmen müssen, wie man ihr sagte.
»Ja, aber ist er denn wirklich verdächtig?« fragte sie Galbraith.
»Ehemänner zählen immer zu den Verdächtigen.«
»Ach, nun kommen Sie schon, Chef, er war eindeutig in Liverpool. Ich hab extra im Hotel angerufen, um es zu überprüfen, und von dort nach Dorset ist es eine halbe Weltreise. Wenn er in fünf Tagen zweimal hin und her gefahren ist, hat er an die siebzehnhundert Kilometer runtergespult. Das ist eine verdammt lange Strecke.«
»Was vielleicht erklärt, warum er ohnmächtig geworden ist«, antwortete Galbraith trocken.
»Na, toll!« rief sie sarkastisch. »Ich wollte schon immer mal mit einem Vergewaltiger unter einem Dach leben.«
»Sie sind in keiner Weise dazu verpflichtet, Sandy. Sie brauchen das nicht zu übernehmen, wenn Sie nicht wollen, aber die einzige andere Möglichkeit wäre, Hannah in der Pflegefamilie zu lassen, bis wir ganz sicher sind, daß sie gefahrlos zu ihrem Vater zurückkehren kann. Wie wär’s, wenn Sie heute abend mal mitfahren und sehen, wie es geht? Im Augenblick sind gerade ein paar Leute dabei, das Haus zu durchsuchen. Ich werde einen der Männer bitten, dazubleiben und auf Sie aufzupassen. Können Sie damit leben?«
»Ach, was soll’s«, meinte sie heiter. »Wer weiß, vielleicht ist das die Chance, meinen Babyfimmel loszuwerden.«
Für Sumner war Griffiths die amtliche ›Freundin‹, die jede Polizeibehörde einer Familie in Not zur Seite stellte.
»Allein schaffe ich das alles nicht«, erklärte er Galbraith immer wieder, als wäre die Polizei daran schuld, daß er verwitwet war.
»Das erwartet auch keiner.«
Der Mann hatte wieder eine etwas gesündere Farbe, seit man ihm etwas zu essen gebracht hatte. Von neuer Energie erfüllt, begann er sofort wieder mit der verzweifelten Suche nach Erklärungen.
»Sind sie entführt worden?« fragte er plötzlich.
»Das glauben wir nicht. Die Kollegen in Lymington haben Ihr Haus von innen und außen überprüft und keinerlei verdächtige Spuren gefunden. Die Nachbarin hatte sie mit einem Zweitschlüssel ins Haus gelassen, die Durchsuchung war also durchaus gründlich. Das heißt selbstverständlich nicht, daß wir die Möglichkeit einer Entführung außer acht lassen. Wir ziehen alle Möglichkeiten in Betracht. Im Moment führen unsere eigenen Leute eine zweite Durchsuchung durch, es sieht allerdings bisher ganz so aus, als hätten Ihre Frau und Ihre Tochter das Haus aus freien Stücken verlassen. Und zwar irgendwann im Lauf des Samstagmorgens, nachdem die Post gekommen war. Die Briefe lagen geöffnet auf dem Küchentisch.«
»Was ist mit dem Wagen meiner Frau? Könnte sie vielleicht aus ihrem Wagen entführt worden sein?«
Galbraith schüttelte den Kopf. »Der Wagen steht in Ihrer Garage.«
»Dann versteh ich das Ganze einfach nicht.« Sumner wirkte ehrlich verwirrt. »Was ist denn nur passiert?«
»Nun, eine Erklärung könnte sein, daß Kate jemanden getroffen hat, als sie außer Haus war, einen Freund der Familie vielleicht, der sie und Hannah zu einem Segeltörn überredete.« Er achtete sorgfältig darauf, jeden Eindruck, es könnte sich um ein verabredetes Treffen gehandelt haben, zu vermeiden. »Aber ob sie damit rechnete, daß die Tour bis nach Poole und zur Insel Purbeck gehen würde, wissen wir natürlich nicht.«
Sumner schüttelte den Kopf. »Sie wäre niemals mitgefahren«, erklärte er mit absoluter Gewißheit. »Ich habe es Ihnen doch schon mehrmals gesagt, daß sie keine Bootstouren mochte. Außerdem sind alle unsere Bekannten, die ein Boot haben, Ehepaare.« Er starrte zu Boden. »Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß ein Paar so etwas getan haben könnte?« Sein Ton klang schockiert.
»Im Moment behaupten wir gar nichts«, versetzte Galbraith geduldig. »Dazu fehlen uns einfach die
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