Weller
jenem Trucker, der mir geholfen, wenn nicht gar das Leben gerettet hatte, um mich bei ihm erkenntlich zu zeigen, erinnere jedoch, da ich ihn ausschließlich von hinten gesehen hätte, nur, dass er stark tätowierte Unterschenkel gehabt hätte. An den LKW hätte ich leider überhaupt keine Erinnerung mehr.
Ich merkte schnell, dass viele der Fahrer mich wie einen Pausenclown behandelten, sich meine Geschichte mit einer Haltung erzählen ließen, in der sie sonst wahrscheinlich irgendwelche Spielfilme oder Quizshows auf den Fernsehgeräten ihrer Fahrerkabinen ansahen, um die Zeit totzuschlagen. Insgesamt waren sie extrem wenig auskunftsfreudig. Möglicherweise war ihre Zurückhaltung eine Eigenart ihres Berufsstandes. Oder meine Geschichte erschien nicht plausibel, beziehungsweise ich trug sie nicht glaubhaft genug vor. Jedenfalls bekam ich keinerlei Tipp auf einen an den Beinen tätowierten Kollegen mit schwarzen Clogs von den zwanzig bis dreißig Männern, mit denen ich ins Gespräch kam. Dabei schienen sich viele von ihnen untereinander zu kennen, war die Schar der Trucker, die hier regelmäßig Rast machte, offenbar relativ übersichtlich. Und obwohl tatsächlich manche der Männer schwarze Holzclogs trugen, hatte ich bisher kein tattooüberzogenes Männerbein zwischen den riesigen Zwillingsreifen, den Picknicktischen und Abfallkübeln der Raststätte entdecken können.
Nachdem ich jeweils vier Mal in Abständen von wenigen Tagen in Kritzow und an den beiden Fuchsberg -Raststätten, nördlich und südlich der Autobahn, mein Glück versucht hatte, begann ich, am Sinn meines Handelns zu zweifeln. Ich bestellte, bevor ich nach Hause fuhr, einen letzten überteuerten Cappuccino und zwei Brötchenhälften mit Käse und Ei am Tresen der nördlichen Fuchsberg -Raststätte und nahm mir vor, am darauf folgenden Tag Kommissar Luckow all meine kruden Mutmaßungen über den großen unbekannten Fernfahrer und auch über die amerikanische Stipendiatin aus Plüschow mitzuteilen. Denn immer deutlicher spürte ich, wie egozentrisch und vermessen es war, den Täter selbst stellen zu wollen. Nun sollte die Polizei entscheiden, ob ich Gespenster sah oder ob an meinen Überlegungen vielleicht doch etwas dran war. Ich balancierte Pappbecher und Brötchenhälften zurück zu meinem Auto, das ich nahe der für Lastkraftwagen reservierten Parkfläche abgestellt hatte, und lud alles, während ich aufschloss, auf dem Dach ab. Ich würde noch einen Kaffee lang meine Observation fortsetzen und dann nach Hause fahren. Mit etwas Glück wäre Ellen, die heute ihren wöchentlichen Volkshochschulkurs in Specksteinbearbeitung gab, schon aus Rostock zurück und wir könnten noch ein Glas zusammen trinken. Ich blieb in der halb geöffneten Autotür stehen und ließ meinen Blick über die Reihe der abgestellten Lastwagen wandern.
Die polnischen, russischen und skandinavischen LKW waren für mich weniger interessant. Ihre Fahrer würden sich wohl kaum hier in Wismar als fotografierende Voyeure betätigen, und ganz pragmatisch gesehen war die Kommunikation mit ihnen, aufgrund der unterschiedlichen Sprachen, oft mühsam und unergiebig. Meine Zielgruppe waren die deutschsprachigen Fahrer, insbesondere solche, die hier in der Nähe lebten, für eine der regional ansässigen Speditionen oder für ein Unternehmen aus dem Umkreis fuhren und auf dieser Raststätte ihre kurzen Ruhepausen verbrachten, beziehungsweise das Fahrzeug beim Schichtwechsel übernahmen oder an einen Kollegen übergaben.
Ein neuer LKW brauste an mir vorbei; der Luftzug, den er verursachte, blies beinahe meine Brötchenpappe vom Dach. Ich blinzelte in die noch knapp über dem Horizont stehende Sonne, die die ganze Szenerie vergoldete. Inzwischen erkannte ich mit meinem geübten Blick, dass der Wagen zu einer großen Schweriner Spedition gehörte. Er hielt an, die Bremsen zischten und die Lichter erloschen. Dann öffnete sich die Fahrertür und zwei Männerbeine in Dreivierteltarnfarbenhose erschienen, als der Fahrer aus der Kabine kletterte.
Mein Magen ballte sich auf Walnussgröße zusammen und ich spürte, wie mein Herzschlag im Hals stolperte. Das musste er sein! Ich konnte kaum glauben, was ich sah. Das, wonach ich so lange gefahndet hatte. Beide Unterschenkel des Mannes waren über und über mit dunklen Ornamenten tätowiert. Dazu trug er schwarze Clogs. Ich setzte mich hinter das Steuer, klappte gleichzeitig die Sonnenblende herunter und fingerte mein Handy aus der
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