Weller
waren gleich, taugten nichts, wenn sie sich mitten in der Nacht an fremde Kerle heranwarfen, sich volllaufen ließen, anstatt zu Hause bei ihren Kindern und Familien zu sein.
Er war nach Wismar gefahren, die vorbereitete Flasche in der Jackentasche, und hatte sich so lebendig gefühlt, wie lange nicht mehr. Er hatte ein Ziel und wusste, wie und wo er es erreichen konnte. Es ging darum, wieder diesen Kitzel zu erleben, den Wahnsinn des Gefühls, dass ein anderer Mensch ihm hilflos ausgeliefert war. Er hatte ihre Angst riechen, ihre Panik schmecken, den Tod sich in ihren Augen spiegeln sehen wollen. Das war das Größte. Tausend Mal besser als jeder über Pornoheften herbeigeriebene Orgasmus. Diese Sensation, die er das erste Mal im Spiegelberg erlebt hatte, und die ihm zuletzt, im Nacherleben, mehr und mehr abhanden gekommen war. Erstaunlicherweise funktionierte sein Gedächtnis in diesem Falle nicht mehr exakt. Seine Erinnerungsbilder an die Studentin, an die köstlichen Momente ihres Todes, verblassten immer stärker. Er hatte zwar noch das Porträt, das er Wochen vor ihrem Tod von ihr gemalt hatte und auf dem er nachträglich den Ring mit dem grünen Stein eingemalt hatte, den er ihr, als sie tot am Boden lag, vom Finger gezogen und mitgenommen hatte. Doch wenn er sich das Bild ansah, erreichte er nicht mehr diesen schwebenden, glückseligen Zustand, diese flirrende Ekstase, in den ihn sein Überfall auf sie für lange Zeit versetzt hatte. Der Überfall gestern hatte ihn mit neuen Erinnerungsbildern versorgen sollen. Doch hatte er ihn abbrechen müssen.
Er würde es wiederholen. Mit einem Lappen wischte er die Flasche ab und steckte sie in die Satteltasche des Mopeds. Er hatte da auch schon eine Idee.
***
Das Telefon läutete. Ich hob im Wohnzimmer ab, sah dabei Quax vor der geschlossenen Terrassentür darauf warten, dass sie jemand hereinließ und fütterte. Manchmal war sie zu faul, den Umweg durch die Katzenklappe zu nehmen. Ellen war zu einem Treffen des Künstlerbundes gefahren, also war ich heute Abend der Dosenöffner.
»Weller.«
»Uwe, hier spricht Dietmar.« Mein Freund klang kurzatmig, als wäre er gelaufen. »Ich dachte, du würdest das wissen wollen. Dein Klient Zorn und auch der Trucker sind wahrscheinlich endgültig aus dem Schneider. Gestern, am frühen Sonntagmorgen, hat es hier am Schwimmbad Wonnemar einen Tötungsversuch gegeben, dessen Umstände dem Mord an der Hausmann ähneln.«
Ich presste das Telefon ans Ohr und mir war, als legte sich eine Blutdruckmanschette um meinen Hals und würde aufgepumpt.
»Bist du noch dran, Uwe?«
Ich grunzte irgendetwas.
»Ich muss jetzt Schluss machen. Hier tobt der Bär wegen der Sache. Bis später.« Ich schleppte mich zur Terrassentür, ließ die Katze herein, machte ihr in der Küche das Futter auf, stellte den Napf an die gewohnte Stelle, strich mit der Hand ein, zwei Mal über das seidige, schwarz glänzende Rückenfell, während sie fraß … und fühlte bei all dem nichts als bodenlose Erschütterung. Es war, als stürze ich eine vereiste Schlucht hinunter, mit den Händen hektisch nach Halt tastend. Doch ich fiel weiter, rasend schnell, mit vergeblich ins Leere greifenden Fingern. Ein Gedanke fraß sich in mein Hirn wie ein Rostfleck: Jetzt war es definitiv. Ich hatte Zorn vorschnell zurück in die Haft geschickt, ihm aus völlig eigennützigen Gründen – und vor allem völlig unnötig – die Freiheit genommen. Meine Vermessenheit, der ich Zorn unterworfen hatte, beschämte mich bis ins Mark. Das würde ich niemals und durch nichts wieder gutmachen können. Die Rehabilitation durch den aktuellen Überfall nützte ihm dort in der U-Haft und in der darauf folgenden Strafhaft einen Dreck. Er würde seine neue Strafe absitzen müssen und möglicherweise daran zerbrechen. Hatte er sich doch geschworen, niemals wieder inhaftiert zu werden. Ich erinnerte noch genau, wie er in meinem Büro gesessen, die Hände gerungen und von seinem Entlassungstag erzählt hatte. »Wenn ich mit 50 noch im Knast sitze, bringe ich mich um. Ich habe eine wahnsinnige Angst vor dem Knast. Ich will da nicht mehr hin, war zu oft dort drin. Ich will kein Schlüsselgeklapper mehr hören, niemals wieder. Ich würde verrecken da drin. Man soll sich ja nicht umdrehen an der Anstaltspforte. Doch ich habe mich beim letzten Mal umgedreht, habe mir das alles ganz genau angeguckt, die Mauer, die Pforte. Und habe gedacht: Nie, nie, nie wieder. Wenn ich jemals wieder durch so
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