Weller
und, zumindest im Geist, bekämpfte, hatte niemand ein Recht, ihn zu beleidigen. Und schon gar nicht, sich über ihn lustig zu machen.
Seine Finger zitterten kaum, als er den Kanister unter der Werkbank hervorzog. Es war Sonntagnachmittag, er hatte sich in den Schuppen zurückgezogen, in dem auch das Moped stand. Draußen rollten die ersten Besucher auf den Schlossplatz, Autotüren klappten, Frauen lachten schrill. Heute wurde das Ende der laufenden Ausstellung gefeiert. Eine Finissage, wie sie es alle nannten. Ganz so, als beherrschten sie kein Deutsch mehr. Abartig! Warum sagten sie nicht Ausstellungsende? Diese kulturbeflissenen Gutmenschen, die sich zu allen Plüschower ›Events‹ – noch so ein grausiges undeutsches Wort – die Schlossklinke in die Hand gaben, ohne Pause vermeintlich Hochgeistiges daherschwatzten und sich für die besseren Menschen hielten, widerten ihn in ihrer Selbstgefälligkeit an. Dabei hatte er nichts mit ihnen zu tun und sie wollten eindeutig nichts mit ihm zu tun haben. Doch allein aus der Ferne die Meute der arroganten Besserwisser zu beobachten, ihr affektiertes Lachen zu hören, den schwülen Parfümhauch der Frauen zu riechen, ließ die Wut in ihm aufkeimen. Und wenn sich dann einer dieser Rotweintrinker einmal herabließ, ihn wahrzunehmen, mit einem flüchtigen Nicken seine Existenz anzuerkennen, ihn jedoch im selben Augenblick bereits wieder vergaß, dann hätte er kotzen mögen.
Er schraubte den Deckel vom Kanister und hob diesen über die Öffnung der kleinen Flasche, die er vorbereitet hatte. Das durch das kleine verstaubte Fenster eindringende Sonnenlicht reichte für diese Arbeit aus, die er ja nicht das erste Mal machte. Der Kanister war zu Hälfte leer. Der Anflug eines Grinsens erschien auf seinem seit zwei Tagen nicht rasierten Gesicht. Dann, bei der Erinnerung an den gestrigen Abend, wurde er ernst, hielt, um nichts zu verschütten, instinktiv den Atem an. Die farblose Flüssigkeit rann in einem dünnen Strahl in den Flaschenhals.
Ihm war klar, dass er nicht wie die anderen war, dass er, selbst wenn es die Bewegung in mehr oder weniger ferner Zukunft geschafft hätte, das System, das sich selbst Demokratie nannte, zu überwinden und die Macht im Reich zu erringen, auf ewig Außenseiter, bestenfalls ein Handlanger und Mitläufer bleiben würde. Vorsichtig schraubte er die Deckel von Kanister und Flasche wieder zu.
Doch er war doch auch ein Mensch wie alle anderen, wollte Anerkennung, für das, was er tat, und den Respekt anderer spüren. Seine Bilder waren alles für ihn. Der Beweis, das er etwas Wertvolles erschaffen konnte. Sein Traum war es, einmal drüben im Schloss auszustellen, all seine Werke in den hohen, weiß gestrichenen Sälen aufzuhängen – ohne Kärtchen daneben, auf denen der Künstlername und der Titel standen. Seine Kunst sollte für sich allein sprechen. Oft stellte er sich vor, wie dann die Rotweintrinker, ehrfürchtig verstummt, vor seinen Gemälden standen, sich mit Kennermienen zunickten und über die Identität des Künstlers rätselten. Wie sich die eine oder andere der Abgebildeten vielleicht wiedererkannte, sich fragte, wie es zu dem Porträt gekommen war. Keines seiner Modelle wusste etwas von den Bildern. Er malte aus dem Gedächtnis, denn er konnte sich alles – Personen, Landschaften, Zeitungsseiten – bis ins letzte Detail einprägen. Fotografisches Gedächtnis, so hieß das, hatte er einmal in einer Zeitschrift gelesen. Er brauchte keinen Fotoapparat, er sah jeden Gesichtszug, jede Falte und jeden Leberfleck der Frauen vor sich, die er porträtiert hatte. Dazu genügte es, sie nur ein einziges Mal aus der Nähe zu sehen. Er vergaß nichts. Nie.
Diese Heimlichkeit war immer das Größte für ihn. Er verleibte sich die Weiber ein, machte sich ein Bild von ihnen, wie man so sagte, und nahm sie auf diese Art in seinen Besitz. Nichts anderes sollte ein Mann tun: Frauen in seinen Besitz bringen, sie benutzen, sie gefügig machen. So, wie er es gestern Abend mit der besoffenen Schlampe am Schwimmbad gewollt hatte. Er war ihr von der Disco aus gefolgt, hatte zuvor im ohrenbetäubenden Gewitter der Musik stundenlang beobachtet, wie sie mit anderen geredet, getrunken, sich das Haar zurückgestrichen hatte, bevor sie sich in ihrer halbnackten Aufmachung, mit Silberringen in allen möglichen Körperöffnungen und grell geschminktem Mund, auf der Tanzfläche rhythmisch und lustvoll gewunden hatte. Er kannte sie nicht, doch das war egal. Alle
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