Weller
Schwangerschaften etwas mitbekommen haben wollten – hinter sich gebracht; zuerst aus Unwissenheit, später dann, weil sie zu Recht befürchtete, ihr würde in einer Klinik das jeweilige Kind sofort weggenommen werden.
Das zweitgewichtigste Thema unserer Gespräche waren die Schuldgefühle dem toten Baby und den lebenden Kindern gegenüber, ihre Sehnsucht nach ihnen und die zermürbende Überzeugung, die drei niemals wieder zu sehen. An diesen emotionalen Kriegsschauplatz trauten wir beide uns allerdings nur selten heran, und an jenem Tag schon gar nicht. Ich ließ Mandy plappern – irgendetwas über ihre Bekannten, mit denen sie sich regelmäßig zum Kaffee am Bäckerstand eines Einkaufsmarktes traf – und überlegte, wann Jara wohl zu Hause sein würde. Plötzlich schreckte ich auf.
»Ja, und das kam ja ganz überraschend. Aber der Test war positiv.« Meine Alarmglocken schrillten, als Mandy fortfuhr. »Dabei hat er gesagt, er kann keine Kinder kriegen. So ein Schuft!« Sie hieb ihre Faust auf die Armlehne ihres Stuhls.
Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Ich zitterte vor Ungeduld und Empörung. Wie hatte sie es nur geschafft, schon wieder schwanger zu werden? Sie redete, unbeeindruckt von meiner entsetzten Miene, weiter.
»Da war erstmal Panik angesagt.« Wieso sagte sie das so ungerührt, überlegte ich noch. Da fuhr sie fort: »Aber der Sascha hat dann ganz cool reagiert und sie richtig fest in den Arm genommen. Eigentlich ist er ja derjenige, der in sie verliebt ist, hat sich aber nicht getraut es ihr zu sagen. Ich finde den ja sowieso viel süßer als diesen Mirko. Das ist so ein eingebildeter Schleimer. Obwohl er natürlich toll aussieht.«
Ich verstand Bahnhof. Doch dann dämmerte es mir. Mandy erzählte mal wieder etwas aus einer Fernsehserie – in einem Ton, als wären die Serienfiguren reale Personen aus ihrem persönlichen Umfeld. Ich atmete auf. Also keine Schwangerschaft, keine erneute Lebenskrise.
Es war halb zwölf, als ich Jara endlich erreichte. Einige Minuten später hatte ich Gewissheit. Die amerikanische Stipendiatin war am letzten Freitag abgereist und hatte Jara ein paar Tage später aus den USA angerufen, um sich noch einmal für den Aufenthalt im Schloss zu bedanken. Sie war also definitiv aus dem Rennen, was den Säureangriff beim Wonnema r betraf. Oder?
»Und du bist sicher, dass das Gespräch aus den Staaten kam?«, verlieh ich meinem Misstrauen Ausdruck. Jara zögerte, bevor sie antwortete.
»Ja, ich glaube schon. Es war eine sehr lange Telefonnummer mit zwei Nullen am Anfang. Ich kenne natürlich die Vorwahl von Wisconsin nicht, doch es war auf jeden Fall ein Anruf aus Übersee. Sag mal, weshalb fragst du das überhaupt?«
Ich überlegte, was als einigermaßen plausibler Grund für meine Neugier dienen konnte. Schließlich wollte ich nicht, dass Jara Ellen von einem ungewöhnlichen Interesse an dieser jungen Künstlerin meinerseits berichtete. In meiner verzweifelten Lage konnte ich ein erneutes Aufflackern der Eifersucht von Ellen so gut gebrauchen wie einen Kropf.
»Diese Connor hat mir ihre Telefonnummer oder Adresse nicht dagelassen. Wir haben uns bei euren Veranstaltungen und einmal per Zufall in Wismar getroffen und uns gut unterhalten, über ihre Kunst und so. Leider hat Ellen sie nicht kennen gelernt«, fügte ich schnell hinzu. »Und beim letzten Mal habe ich versehentlich ihr Feuerzeug eingesteckt«, improvisierte ich. »Das würde ich ihr nun gerne schicken. Aber mir reicht es auch, ihre Telefonnummer zu haben, dann frage ich mal an, wohin ich das Zippo schicken soll.«
Jara kaufte mir die Geschichte ab – was sollte sie auch sonst tun – und gab mir Connors Nummer. Nachdem wir uns verabschiedet hatten und sie mir, mit einem süffisanten Unterton, liebe Grüße an Ellen aufgetragen hatte, wählte ich sofort erneut. 001-608-5968. Die Zeitdifferenz zwischen Europa und Amerika fiel mir zu spät ein. Wieviel Uhr wäre es dort in Wisconsin gerade? Irgendetwas mit sechs Stunden Unterschied, oder? Das hieße, es wäre dort wahrscheinlich sehr früher Morgen. Sicher war ich mir nicht, doch es war mir bis zu einem gewissen Maß auch egal. Ich wollte nur ihre Stimme hören, sie eindeutig identifizieren. Meinetwegen konnte sie dafür auch aus dem Schlaf gerissen werden. Der Rufton erklang. Einmal, zweimal, dreimal.
»Yap.«
Ich schwieg, hielt mit glitschigem Griff das Telefon ans Ohr. Mein Herz trommelte.
»Hello? Who speaks?« Die Verbindung war erstaunlich
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