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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hörten mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit zu. Einige waren offenbar gewillt, die Aussagen an sich vorüberrauschen zu lassen und sich bei der Abstimmung die Argumente des Staatsanwalts zu eigen zu machen, der für ein Todesurteil gegen King plädieren würde. Es gab niemanden im Saal, der in dieser Beziehung auch nur den geringsten Zweifel hegte, denn Joe King war ja geständig, Philip Mac Lean erschossen zu haben. Zu den aufmerksamen Geschworenen, die bei aller Loyalität gegenüber der staatlichen Meinung sich vor ihrem Gewissen doch zu einer eigenen Urteilsbildung verpflichtet fühlten, gehörte Lucie Green. Sie war noch immer blaß und saß wieder einmal ganz gerade, als sei sie versteift, was stets ein Ausdruck innerer Verwirrung bei ihr war. Der Kugelschreiber lag bereit; sie wollte sich einige Notizen machen. Es sollte sich zeigen, daß ein Gremium Geschworener eine bessere Garantie für ein wirklich begründetes Urteil war als eine Absprache zwischen Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Richter. King hatte geschossen. Die Frage blieb bestehen, ob in Notwehr oder nicht.
    Julia Tatokala wurde in den Zeugenstand gerufen. Sie leistete mit eingeengtem Stimmklang den Eid; die Nerven schienen ihre Kehle zusammenzuziehen. Sie wirkte verstört, und da Lucie Julia kennengelernt hatte, empfand sie Mitgefühl mit ihr. Was für ein sehr junges und schon von der Erinnerung an ein grausames Erlebnis verfolgtes Mädchen; der Verlobte war vor ihren Augen erschossen worden. Sie dachte ohne Zweifel daran, auch wenn es in ihren Aussagen jetzt nicht darum, sondern um die anschließenden Geschehnisse ging. Der Staatsanwalt fragte sie kreuz und quer. Sie antwortete mit Überlegung, aber daß sie auch auf irgendeine Weise Angst empfand, schien sogar der Staatsanwalt zu bemerken.
    »Miss Bedford, lassen Sie sich von niemandem einschüchtern. Sie sagen unter Eid aus und stehen unter dem Schutz des Gerichts. Sie konnten von Ihrem Platz aus die Vorgänge an jenem Tage übersehen! Sie waren mit Jerome Patton verlobt?«
    »Ja.«
    »Sie hatten Arbeit bei dem Angeklagten King gefunden?«
    »Bei Melitta Thunderstorm. Durch Mister Kings Vermittlung.«
    »Von Ihrem Standplatz aus konnten Sie sehen, wie der Angeklagte King auf Mister Philip Mac Lean schoß.«
    »Ja.«
    »Danke.« .
    Der Verteidiger bat um das Recht, Fragen an die Zeugin zu stellen.
    »Miss Bedford, Sie hatten tatsächlich von Ihrem Standplatz aus einen guten Überblick. Haben Sie bemerkt, daß Philip Mac Lean auf Byron Bighorn abdrücken wollte?«
    »Ja.«
    »Wer hatte außer Joe King noch auf Mac Lean angelegt?«
    Julia schien zu erstarren.
    »Sie sagen unter Eid aus und dürfen nichts verschweigen. Wer hatte noch angelegt?«
    »Ich…«
    »Verschweigen Sie nichts. So sprechen Sie doch! Hug Mahan hat nach dem Tode Jeromes auf Mac Lean angelegt…! Ja oder nein?«
    Julia sagte leise ein Wort. Es war nicht verständlich. Der Anwalt trat dicht vor sie hin.
    »Sprechen Sie endlich! Sagen Sie die Wahrheit!«
    Julias Züge waren voll Feindschaft.
    »Ich verweigere die Aussage.«
    »Überlegen Sie sich das noch. Sie haben auszusagen! Sie sind nicht der Angeklagte, Sie sind Zeuge.«
    »Ich verweigere die Aussage. Sperren Sie mich doch ins Gefängnis!«
    »Ah, Sie wollen King durchaus belasten und Mahan entlasten. Warum verschweigen Sie sonst, wer außer King geschossen haben könnte?«
    Einige Zuhörer flüsterten untereinander, verstummten aber unter dem Blick des Richters sofort.
    »Ich verweigere die Aussage.«
    Lucie Green vergaß, ihrem Körper weiter steife Haltung zu befehlen. Auch die anderen Geschworenen rührten sich. Die Wendung in dem Ergebnis der Zeugenbefragung kam allen überraschend. Auch der Staatsanwalt hatte aufgehorcht. Möglicherweise konnte er außer King auch noch den Rebellen Mahan belasten.
    Julia Bedford durfte den Zeugenstuhl verlassen. Sie schien auf einmal in sehr schlechter Verfassung zu sein, aber niemand wußte, warum. Ich habe gesagt: »Im äußersten Notfall«, dachte sie. Warum fängt er gleich damit an? King ist sein Mandant; wenn er für ihn etwas erreicht, ist es sein Ruhm. An Mahans Schicksal hat Leroy kein Interesse. Ich habe Mahan in seiner schweren Lage noch arg geschadet.
    Mrs. Mabel Mac Lean wurde aufgerufen. Sie trug Witwenkleidung und ging langsam, aufrecht, offenbar gefaßt und völlig sicher zum Zeugenstuhl. Auch sie war bleich, wie es Julia gewesen war, aber bei ihrer hellen Haut und der schwarzen Kleidung fiel die Blässe als Kontrast

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