Wen die Sehnsucht besiegt
Schwägerinnen erwartet. Vorerst konnte sie nicht unter vier Augen mit Tode sprechen. Doch dann dachte sie, er würde sich gut mit Berengaria verstehen, weil sie ihn nicht sah.
»Tode, ich möchte dich mit meiner Schwägerin bekannt machen«, begann Axia. »Sie ist blind«, fügte sie voller Stolz hinzu.
Sowohl die schöne Berengaria als auch Joby in ihrer Männerkleidung starrten Tode mit großen Augen an.
Da ihn schöne Frauen verunsicherten, glaubte er, Joby wäre blind. Lächelnd schob er die Kapuze nach hinten und zog sie blitzschnell wieder über seinen Kopf, als das Mädchen entsetzt nach Luft schnappte.
Axia musterte ihre jüngere Schwägerin ärgerlich und zog ihn zu Berengaria hinüber. »Nein, das ist Joby. Diese hier sollst du zuerst kennenlernen - Berengaria. «
»Ah! « Wieder streifte Tode die Kapuze ab. Angesichts der schönen jungen Frau ignorierte er Jobys Ekel. »Wie sollte ich ahnen, daß so himmlische Augen nicht sehen können? Jenen, die Euch erblicken, ist es gestattet, sich unablässig an Eurer Schönheit zu weiden, ohne indiskret zu wirken. « Er umfaßte ihre Hand und streichelte sie. »Darf ich? « Schweigend nickte sie, und er küßte zärtlich ihre Finger. Axia blinzelte überrascht. Noch nie war er einem Menschen so unbefangen gegenübergetreten. Sie hatte ihn in weiblicher Gesellschaft gesehen, auch in der Nähe blinder Frauen. Stets war er im Hintergrund geblieben. Und er wußte, welche Haltung er einnehmen mußte, um seine vernarbte Gesichtshälfte zu verbergen. Jetzt stand er da, die Kapuze zurückgeschoben, und entblößte seine ganze Häßlichkeit, sogar vor Joby, die ihn ihrerseits erstaunt musterte.
Aber sie interessierte sich mehr für das Verhalten ihrer Schwester. Berengaria pflegte Fremden sehr schüchtern zu begegnen, und sie wollte nur mit Leuten beisammen sein, die sie schon jahrelang kannte. Nun erlaubte sie diesem gräßlichen Mann, ihre Hand zu küssen. Zu allem Überfluß hielt er ihre Finger immer noch fest!
Es war Joby, die sich zuerst von ihrem Schrecken erholte. Entschlossen ging sie zu Tode und entriß ihm Berengarias Hand. Das schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken. Er drehte sich zu Berengaria um und küßte sie brüderlich auf die Wange. »Ah, das Essen wird serviert! Setzt Euch zu mir, Ladies, und laßt mich Eure Gesellschaft genießen. « Als wäre es ganz selbstverständlich, nahm er Berengarias Arm und führte sie zum Tisch, wo verschiedene Speisen angerichtet wurden.
Verdutzt beobachteten ihn die anderen »Ladies«. Axia verstand sein ungewöhnliches Benehmen nicht, und Joby konnte nicht fassen, daß dieser Mann, der wie das Mitglied eines Wanderzirkus aussah, plötzlich das Kommando in diesem Haus führte. Wer war das überhaupt?
Tode setzte sich mit Berengaria an den kleinen Tisch, die Bank auf der anderen Seite überließ er Joby und Axia. »Nun kommt schon, Mädchen, oder wollt ihr meine Neuigkeiten nicht hören.
Mädchen? Kopfschüttelnd sank Axia auf die Bank, und Joby nahm neben ihr Platz.
Während er seine Geschichte zu erzählen begann, begriff sie den Inhalt seiner Worte nicht sofort - immer noch viel zu erstaunt über seine Veränderung. Sicher, er sah immer noch so aus wie ihr Tode, aber nun schien ein anderer Geist in seinem Körper zu wohnen. Und er zog Berengaria völlig in seinen Bann. Auf dem Tisch stand nur ein einziger Teller, den er ein wenig zu ihr hinüberschob. Genüßlich aß er, und unterdessen drückte er immer wieder kleine Leckerbissen in ihre Hand - Obstscheiben, gebuttertes Brot, ein Stück Rindfleisch, auf ein kleines Silbermesser gespießt.
Erst als Joby gequält aufschrie, nahm Axia wahr, was Tode sagte. »Jamie! Henry Oliver hat unseren Bruder in ein Verlies gesperrt? « Blitzschnell zog sie ihren Dolch aus der Scheide und sprang auf, aber Tode packte ihren Arm.
»Setz dich wieder hin! « befahl er, und sie gehorchte. »Im hellen Tageslicht können wir nichts tun. Ich würde gern ein bißchen schlafen, dann trete ich den Rückweg an. «
Es gefiel ihr ganz und gar nicht, wie dieser Mann in ihrem Leben aufgetaucht war und das Kommando übernahm. »Und was könnt Ihr tun? « spottete sie.
»Joby! « mahnte Berengaria in scharfem Ton.
Seit er erklärt hatte, Jamie schwebe in Gefahr, konnte Axia kaum atmen. Nun riß sie sich zusammen und flüsterte: »Erzähl mir alles, Tode, ich muß es wissen. «
»Dieser Henry Oliver ist nicht so dumm, wie die Leute glauben, sondern ziemlich raffiniert. Und er hat sich
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