Wen die Sehnsucht besiegt
benahm sich Axia nicht wie die Gemahlin eines Earls, sondern wie eine Haushälterin, die ständig in der Küche herumschnüffelte und in die Mehlsäcke spähte. Das paßte nicht zum Stil ihres schönen, vornehmen Ehemannes.
»Wie auch immer, er hat sie geheiratet, und daran können wir nichts ändern«, fügte Berengaria hinzu.
»Aber ich will ihr klarmachen, was sie mit ihrer gemeinen Intrige angerichtet hat. Wenn sie auch glaubt, sie könnte ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie die Bohnen zählt - bald werden wir keine Bohnen mehr besitzen. « »Was war das? « Berengaria legte den Kopf schief und lauschte auf Geräusche, die aus dem Garten heraufdrangen. »Ich höre nichts. «
»Da, schon wieder. «
Joby trat ans Fenster und schaute hinunter. Neuer Zorn erfaßte sie, als sie die Frau, die alle wundervollen Pläne vereitelt hatte, neben ihrer Mutter auf einer Steinbank sitzen sah. Neben ihrer armen, verrückten Mutter!
»Nun, was gibt’s? « fragte Berengaria.
Es dauerte einige Zeit, bis Joby ihren Augen traute. »Diese Axia kritzelt irgendwas, zeigt es Mutter und - Mutter lacht! «
Sofort stand Berengaria auf und wandte sich zur Tür. »Ich gehe hinunter. « In ihrem Elternhaus fand sie sich mühelos zurecht und kannte alle Wege.
»Laß dich bloß nicht von ihr umgarnen! Nur weil sie… «
»Halt den Mund! « fauchte Berengaria und eilte aus dem Zimmer, dicht gefolgt von ihrer Schwester.
Im Garten duckten sie sich hinter ein Rosenspalier.
»Was kritzelt Axia? « wisperte Berengaria. »Und warum lacht Mutter? « »Warte hier! « Joby rannte ins Schloß zurück.
Einen Augenblick später erschien ein Küchenjunge und bat Axia, ihn zu begleiten. Sobald sie verschwunden war, ergriff Joby die Pergamente, die auf der Bank lagen. Wie üblich wurden die Schwestern von ihrer Mutter ignoriert. Sie lebte in ihrer eigenen Welt, in die niemand einzudringen vermochte. Keine aufregenden Ereignisse, keine emotionalen Dramen konnten sie in die Wirklichkeit locken. So war es jahrelang gewesen. Bis zu diesem Tag.
»Was siehst du? « fragte Berengaria besorgt.
Aufmerksam betrachtete Joby eine Zeichnung nach der anderen. »Lauter Bilder von Jamie«, erwiderte sie verblüfft. Er war so lebensnah dargestellt, daß sie die Wärme seiner Haut zu spüren glaubte.
»Ja, ja«, sagte Berengaria ungeduldig. »Aber warum lacht Mutter? «
Unwillkürlich lächelte Joby, dann beschrieb sie ihrer Schwester die Zeichnungen. »Jamie, so wie wir ihn kennen. Hier zieht er ein Schwert, um Axia vor Banditen zu retten. Und da steht er wütend neben einem Wagen, auf den er gemalt ist, als Löwenkämpfer. Auf einem anderen Bild beobachtet er verwirrt, wie zwei Frauen streiten. Axia und eine überirdische Schönheit. «
»Das muß die Erbin sein«, meinte Berengaria. »Was noch? «
»Jamie reibt Öl in die mißgestalteten Beine eines Mannes. Nur die Beine sind deformiert, der restliche Körper wirkt gesund und kräftig. Da er im Profil gezeichnet ist, sehe ich nur eine Hälfte seines Gesichts. Er ist recht hübsch. Und hier… «
»Was? « drängte Berengaria.
»Jamie liegt auf einer Blumenwiese«, antwortete Joby zögernd, »in einem Tagtraum versunken. Und sein Blick… So habe ich ihn noch nie gesehen. «
»Beschreib mir diesen Blick! « befahl Berengaria.
»Albern. Geradezu lächerlich! « Aber sie wußte sehr gut, was sie sah - das Gesicht eines verliebten Mannes.
»Hast du mir lange genug nachspioniert? « fragte Axia, die unbemerkt hinter Joby aufgetaucht war. »Oder willst du dich noch eine Weile über mich lustig machen? «
»Ich habe dir nicht nachspioniert, ich wollte nur… «
»Ja? « Erbost stemmte Axia ihre Hände in die Hüften. Als sie keine Antwort bekam, begann sie, ihre Zeichnungen einzusammeln. »Meine Anwesenheit stört dich, das hast du mir von Anfang an deutlich zu verstehen gegeben. Keine Bange, bald reise ich ab. « Sie warf einen kurzen Blick auf Berengaria. »Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet… «
Bestürzt verstummte sie, weil Jamies Mutter die Hände vors Gesicht schlug und zu schluchzen anfing. Axia setzte sich auf die Bank und legte liebevoll einen Arm um die Schulter ihrer Schwiegermutter. »Nun siehst du, was du getan hast, Joby! « Dann versuchte sie, die Frau zu trösten. »Ich zeichne gern noch etwas. Möchtest du Jamie als Drachentöter sehen? «
Joby und Berengaria beobachteten sprachlos, wie sich die Mutter beruhigte. Jahrelang hatte sie weder geweint noch sonstige
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