Wen die Sehnsucht besiegt
ihre, neigte sich zu ihr und küßte ihre Wange. »Ihr werdet nicht allein sein. « Offenbar konnte er ihre Gedanken lesen. »Nicht solange ich lebe. «
»Laß mich los, Axia, und erklär mir, was du hier machst! « befahl Jamie. »Aber das ist überflüssig, ich weiß es ohnehin. Tode! Wie konntet Ihr meine Frau in solche Gefahr bringen? Olivers Männer haben es aufs Maidenhall-Erbe abgesehen, und sie sind zu allem entschlossen. Trotzdem habt Ihr Axia erlaubt… «
»Und mir«, fiel Berengaria ihm leise ins Wort.
Inzwischen hatte Axia begonnen, seinen Körper abzutasten und nach Wunden zu suchen. Nun spürte sie, wie er zusammenzuckte, als er die Stimme seiner Schwester erkannte. Und sie fühlte auch seinen Zorn. »Wir haben Berengaria gebraucht«, erklärte sie. »Weil sie sehen kann, wo wir blind sind. «
»Tode, dafür werde ich Euch zur Rechenschaft ziehen«, drohte Jamie. »Ihr habt nicht nur das Leben meiner Frau, sondern auch das meiner Schwester aufs Spiel gesetzt. Niemals hättet Ihr die Frauen in diese Tunnels mitnehmen dürfen, schon gar nicht… «
»Sprich es nur aus! « fauchte Berengaria. »Schon gar nicht deine blinde Schwester, die zu nichts nutze ist! Das wolltest du doch sagen? «
»O nein. Keine von euch beiden hat hier irgendwas verloren. «
»Du undankbarer Kerl! « schimpfte Axia. »Wir sind gekommen, um dich zu retten. Und nur zu deiner Information - hier unten ist Berengaria nicht blind. Und sie kann die Sonne riechen. «
Nach kurzem Zögern brach Jamie in Gelächter aus. »Also gut, da kann ich nicht widersprechen. Gehen wir! « Er wandte sich ab, aber zu seiner Verwunderung folgte ihm niemand. »Bald wird man uns suchen«, drängte er und drehte sich um. »Wir müssen den Ausgang finden, so schnell wie möglich. «
Axia stemmte ihre Hände in die Hüften, obwohl diese Geste wegen der Finsternis jede Wirkung verfehlte. »Da Berengaria besser sieht als du, werden wir ihr folgen. «
In diesem Augenblick begann Berengaria, ihre Schwägerin zu lieben. Nie zuvor hatte jemand behauptet, sie könnte irgend etwas besser als andere. Trotz ihrer Blindheit war und blieb sie eine Montgomery. Unbändiger Stolz schwellte ihre Brust. »Kommt! « befahl sie. »Hier entlang! « Und dann ging sie davon, nicht in die Richtung, die Jamie eingeschlagen hatte, sondern in die entgegengesetzte.
Er war klug genug, um sich zu fügen, und auch die anderen folgten ihr. Berengaria führte sie durch ein scheinbar undurchdringliches Labyrinth, und nach einer Weile glaubte sogar Axia, die Sonne zu riechen. Einmal versperrte ein hoher Schuttberg den Weg. Jamie und Tode mußten die Steine beiseite räumen und erlaubten den Frauen nicht, ihnen zu helfen.
»Jamie ist schwerer verletzt, als er es zugeben will«, wisperte Berengaria und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die sie bei sich trugen. »Irgendwo blutet er. Das rieche ich. «
»Und ich konnte es fühlen, als ich ihn abtastete«, erwiderte Axia. »Bist du sicher, daß wir den Ausgang finden werden? « »O ja… «
»Würdest du die Sonne auch in der Nacht riechen? « Berengaria lachte leise. »Die Sonne selbst rieche ich nicht, nur das, was sie in der Natur bewirkt. Sie läßt Pflanzen wachsen, und dieser Geruch steigt mir ebenso in die Nase wie die frische Luft. Deshalb weiß ich, welchen Weg wir gehen müssen. Kannst du’s nicht erkennen? «
»Nein. Würdest du auch zum Haus zurückfinden? « »Zweifellos. « Während Berengaria hörte, wie die Männer mit den Steinen kämpften, fuhr sie fort: »Manchmal führte mich mein Bruder Edward in den Wald, zu verschiedenen Stellen, die meilenweit von unserem Schloß entfernt lag. Er sagte, ich müsse allein nach Hause finden. Was Hunde könnten, müßte ich auch schaffen. Beim ersten Mal überlegte ich, ob ich einfach warten solle, bis mich jemand aufspürte. Wenn nicht, würde ich eben sterben. Aber dann fiel mir ein, daß wir zum Abendessen Erdbeeren servieren wollten. «
»Und die konntest du riechen? Du brauchtest nur deiner Nase zu folgen? «
Berengaria lachte, und die Männer wandten sich zu ihr. Doch sie verriet nicht, was sie belustigte. »Nein. Ich ging nach Hause, strauchelte immer wieder, aber ich vertraute meinem Instinkt und fand den richtigen Weg. «
Ehe Axia weitere Fragen stellen konnte, verkündete Jamie, das Hindernis sei beiseite geräumt.
Eine Stunde später erreichten sie ein Gewirr aus dichten Wurzeln, die den Ausgang versperrten. »Durchschneidet sie! « befahl Berengaria.
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