Wen die Sehnsucht besiegt
Träume versunken. »Wer hat welchen Brief abgeschickt? « fragte sie müde. Wer »er« war, wußte sie selbstverständlich, aber nicht, um welchen Brief es sich handelte. Nachdem Frances ihr das erholsame Bad verdorben hatte, begann sie, ihre Haare einzuseifen.
»Den Brief an deinen Vater! « Frances ließ sich auf den Schemel am Fußende des Betts fallen. »Lord James hat ihm geschrieben und ihn gefragt, ob er seine Tochter Frances heiraten darf. Nicht dich. Frances. Mich . «
Axia war so erschöpft, daß es eine Weile dauerte, bis sie den Sinn dieser Worte begriff. Dann hob sie entsetzt die Brauen. »Jamie hat meinem Vater geschrieben? « flüsterte sie, berührte ihre Stirn und versuchte, klar zu denken. Nachdem Frances voller Stolz verkündet hatte, sie würde Jamie heiraten, war Axia zu wütend gewesen, um sich den Kopf zu zerbrechen. Die Gründe ihres Zorns hatte sie nicht zu erforschen gewagt. Jedenfalls hatte der heftige Tumult ihrer Gefühle alle vernünftigen Gedanken verscheucht. »Erzähl mir alles. «
»Eigentlich wollte ich heimlich heiraten, aber Lord James erklärte, er sei es seiner Ehre schuldig, deinen Vater um Erlaubnis zu bitten… «
»Also ist er mein Vater«, murmelte Axia.
Dieser Einwand wurde ignoriert. »Natürlich stimmte ich zu. Was blieb mir anderes übrig? «
»O ja, sicher hast du dir deine Lügengeschichten gut überlegt. «
Frances Augen funkelten ärgerlich. »Das alles habe ich nur für dich getan. «
»Was? «
»Er gefällt dir, das weiß ich, und wenn du ihn heimlich heiratest, würde dein Vater dich enterben. «
Zunächst verschlug es Axia die Sprache, dann fragte sie: »Um mich zu retten, willst du Lady Frances werden? Verzeih mir, daß ich jemals schlecht von dir gedacht habe. Du bist ja so großzügig. «
Frances musterte sie prüfend, um festzustellen, ob das ernst gemeint war. Bei Axia konnte man nie wissen.
»Bitte, erspar mir dieses Märchen! « Axia richtete sich in der Wanne auf, und ihre Augen verengten sich. »Erzähl mir lieber von diesem Brief. «
»Nun, Lord James erklärte, er würde an Perkin Maidenhall schreiben, um ihn zu fragen, ob er seine Tochter Frances heiraten dürfe. Da konnte ich nicht gut nein sagen, also kündigte ich an, auch ich würde meinem Vater schreiben. Natürlich hätte ich die Briefe niemals abgeschickt. « Ungläubig starrte Axia ihre Kusine an. »Dachtest du, Jamie würde es nicht merken, wenn er keine Antwort be-kommt? Oder hattest du vor, ihm zu schreiben und die Handschrift meines Vaters zu fälschen? «
Soweit hatte Frances nicht vorausgedacht, was sie jedoch nicht zugab. »Das alles spielt jetzt keine Rolle mehr, weil Lord James den Brief abgeschickt hat. « Sie preßte die Lippen zusammen, was sie nur selten tat, aus Angst vor verfrühten Falten. Dann senkte sie die Stimme. »Was wird dein Vater tun, wenn er liest, daß ich seine Tochter bin -nicht du? «
Damit wollte sich Axia nicht befassen. Es fiel ihr sehr schwer, ihren Ärger über Frances zu bezwingen. »Keine Ahnung. Entweder wird er gähnen und sagen: >Du meine Güte, das muß ein Irrtum sein. < Oder er kommt mit einer Armee hierher, um mich zu holen… Was glaubst du? « Sie holte tief Luft. »Und versuch dir doch mal auszumalen, wie er dich bestrafen wird, liebe Kusine! Wahrscheinlich wird er dich splitternackt ausziehen und dich in den Straßengraben werfen. Mal sehen, wen du dann noch mit deiner Schönheit betören kannst! « Gequält schloß Axia die Augen. Sie brauchte Zeit, um nachzudenken. »Gieß mir einen Eimer Wasser über den Kopf. «
»Was immer du von mir halten magst, ich bin nicht deine Zofe«, entgegnete Frances entrüstet.
»Also gut, du kannst ja dein Gehirn benutzen, um das Problem zu lösen. «
Nach kurzem Zögern ergriff Frances den schweren Eimer und schüttete Wasser auf Axias eingeseiftes Haar. Danach putzte sie mit dem einzigen trockenen Handtuch imaginäre Wassertropfen von ihrem blauen Satinkleid. »Vielleicht sollten wir die Antwort auf den Brief abfangen. «
Inzwischen konnte Axia klar denken und erkannte, was geschehen war. Wegen dieses Briefes würde die Zeit ihrer kostbaren Freiheit womöglich früher zu Ende gehen als geplant. »Nicht die Antwort bereitet mir Sorgen, sondern die bewaffnete hundertköpfige Schar, die Vater hierherbringen wird. « Wieder versuchte sie, ihre Nerven zu beru-higen. Wenn sie sich ärgerte, konnte sie keinen vernünftigen Gedanken fassen. Sie stand in der Wanne auf, nahm das Handtuch aus Frances
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