Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Eigenleben.
»Karla«, sagte Heiko leise. Er merkte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. Was um alles in der Welt war mit ihr los?
Sie bemerkte ihn nicht, lag weiter dort auf dem Boden, das Ohr gegen die Steine gepresst, vor sich hin flüsternd, zitternd. »... ich komme ... ich spüre dich ...«
Heiko beugte sich hinunter und berührte Karla vorsichtig an der Schulter. Ihr zitternder Schultermuskel fühlte sich unter seiner Hand an wie ein schwach flatternder Vogel. Doch Karla schien Heikos Anwesenheit überhaupt nicht zu bemerken.
Einen Moment starrte er voller Unruhe auf sie hinab, während sie unaufhörlich zitterte und flüsterte. Dann richtete er sich auf und lief aus der Kirche.
Else und die Polin hatten pflichtbewusst das Büro bewacht. »Und, ist sie in Kirche?«, fragte die Polin.
»Was macht sie denn dort, das dumme Ding?«, fragte Else.
»Es geht ihr gar nicht gut«, sagte Heiko und suchte Pater Sparns Handynummer heraus. Zum Glück hatte der Pater sein Handy eingeschaltet, was er manchmal vergaß, wenn er unterwegs war.
Was gibt's, Junge? Du klingst ja ganz aufgeregt.«
Er beschrieb Sparn, was mit Karla los war. Er ahnte, dass er sie nun nicht mehr vor der Psychiatrie bewahren konnte. »Ich weiß, du hörst das nicht gern, aber sie muss eingewiesen werden. Sie ist psychotisch und braucht eine stationäre Behandlung.«
Heiko seufzte. »Ich hatte gehofft... «
»Hör mal, sie ist dir sympathisch und du möchtest ihr gerne helfen. Das ist gut. Aber wir können ihr hier nicht helfen.«
»Die geschlossene Psychiatrie ist wie ein Gefängnis.«
»Sie bleibt ja nicht lange dort«, sagte der Pater. »Nur, bis ihre Psychose unter Kontrolle ist. Hör zu, du kannst jetzt nur eines für sie tun: Bestell einen Krankenwagen und sag in der Notaufnahme der Landesnervenklinik Bescheid.«
Heiko wusste, dass der Pater Recht hatte, aber etwas in ihm sträubte sich dagegen, Karla in die Klinik schaffen zu lassen, wo man sie mit Medikamenten ruhig stellen würde.
»Hör zu, Junge«, sagte Sparn. »Ich mache es selbst, okay? Hier vom Handy aus. Geh du rüber in die Kirche und bleib bei ihr, bis der Krankenwagen kommt. Solange ist das Büro eben unbesetzt.«
Heiko spürte, wie Else und die Polin ihm nachstarrten, als er wieder hinüberging.
In der Kirche war es jetzt völlig still, Karlas sonderbares Geraune war verstummt. Heiko ging nach vorn zum Altar. Karla lag nicht mehr dort. Einen Moment starrte Heiko auf den grauen Steinboden, dann schaute er sich um. »Karla?«, sagte er laut. Seine Stimme hallte durch die Kirche. Als er die Kirche vergeblich abgesucht hatte, lief er zurück zum Haus.
Willi war inzwischen hineingegangen. Er, Else und die Polin halfen Heiko, die ganze Zuflucht nach Karla abzusuchen. Ergebnislos. Vom Büro aus wählte Heiko die Nummer im Polizeipräsidium, die ihnen Kommissar Tönsdorf gegeben hatte. Nach längerem Klingeln meldete sich ein Beamter.
»Kommissar Tönsdorf? Nein, der ist unterwegs.«
Heiko berichtete aufgeregt, was geschehen war.
»Keine Panik«, sagte der Mann im Polizeipräsidium, »ich informiere Kommissar Tönsdorf. Die Beschreibung der vermissten Person liegt uns ja vor. Ich gebe sie an unsere Funkstreifen weiter. Wir finden sie bestimmt rasch. Das Beste wird sein, wir bringen sie dann gleich in die Psychiatrie.«
Heiko starrte durchs Fenster auf den Hof und hinüber zur dunkelgrauen Seitenwand der Kirche, deren Fenster von außen trübe und matt wirkten. Er versuchte einen Sinn in Karlas Worten und ihrem bizarren Verhalten zu entdecken, aber es gelang ihm nicht. Hoffentlich wurde sie bald gefunden. Sie befand sich in einem Zustand, in dem einem Menschen leicht etwas zustoßen konnte.
Es war eine in den Siebzigerjahren gebaute, gesichtslose Häuserzeile - unten Geschäfte, darüber Eigentumswohnungen. Das Treppenhaus wirkte so wenig einladend wie bei Susannes letztem Besuch, der zwei oder drei Jahre zurücklag. Offenbar verbot eine strenge Hausordnung, dass die Mieter die Treppenabsätze vor ihren Wohnungen mit ein paar hübschen Pflanzen oder dergleichen schmückten. So sah alles sehr sauber und unpersönlich aus. Es gab einen Aufzug, aber Susanne zog die Treppe vor.
Als sie an einer Tür im dritten Stock gegenüber dem Aufzug klingelte, dauerte es einen Moment, dann war drinnen ein schabendes, schleifendes Geräusch zu hören. Zwei schwere Schlösser klickten, und die Tür öffnete sich gerade so weit, dass ein wachsames Auge durch den Spalt blicken konnte.
Weitere Kostenlose Bücher