Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
mit verheirateten Männern angedichtet, aber ich glaube nicht, dass das stimmte. Sie hatte ab und zu einen Freund, der dann bei uns wohnte. Das ging aber meistens nicht lange gut.« Statt Lkw-Rädern war jetzt das weite, flache Land der Kölner Bucht zu sehen. »Ich glaube, wenn die Leute im Ort ein bisschen freundlicher zu ihr gewesen wären, wäre sie nicht verrückt geworden und in eine Anstalt gekommen. Aber das weiß man natürlich nie.«
»In eine Anstalt? Das ist ja schrecklich«, sagte Heike, nahm eine Sekunde den Blick von der Fahrbahn und schaute Chris betroffen an. »Ist sie immer noch dort?«
Chris starrte hinunter auf ihre Hände. Eigentlich vermied sie dieses Thema nach Möglichkeit. Sie wusste selbst nicht, warum sie es jetzt zur Sprache gebracht hatte. »Nö. Hat sich in der Anstalt umgebracht, als ich zwölf war. Danach bin ich zwischen ein paar Verwandten in Buchfeld hin und her geschoben worden, die mich eigentlich alle nicht haben wollten. Die meiste Zeit hab ich allein im Wald verbracht.«
»Hattest du denn überhaupt keine Freundinnen?«, fragte Heike.
»Na ja. Ganz wenige. Ich galt als genauso verrückt wie meine Mutter. In der Schule wurde ich geschnitten oder gehänselt. War eine ziemliche Scheiße, das alles.«
Chris schaute wieder nach draußen auf die rasch vorbeiziehenden Felder und Wiesen und Gewerbegebiete. »Richtig wohl gefühlt habe ich mich eigentlich nur, wenn ich allein draußen in der Natur war. Ich hatte das Gefühl, dass ich da besser aufgehoben war als bei den Menschen. Irgendwie schien die Natur mit mir zu reden, auf eine Art, mit der die anderen Leute nichts anfangen konnten. Wenn ich ihnen davon erzählte, haben sie mitfühlend gelächelt oder gesagt, dass ich spinne. Also redete ich gar nicht mehr darüber. Ich hatte Träume, in denen Tiere mich besuchten und mit mir sprachen. Und so habe ich es auch in Wirklichkeit erlebt. Ständig liefen alle möglichen Tiere herbei und wollten gestreichelt werden. Das ist auch heute noch so.«
Heike zeigte nach hinten zum Kofferraum und sagte lächelnd: »Ahriman ist das beste Beispiel.«
Chris warf einen Blick nach hinten. Der schwarze Hund lag mit erhobenem Kopf hinter dem Trenngitter und schien jedes Wort aufmerksam zu verfolgen.
Jedenfalls sah es so aus. »Na ja«, sagte sie, »ich kann ja auch nichts dafür. Aber ich hatte auch Träume, in denen ich Dinge vorausgesehen habe, die dann tatsächlich passiert sind.«
Heike drehte den Kopf und schaute sie mit großen Augen an. »Wirklich? Was waren das denn für Dinge?«
»Na ja, ich fand es damals sehr beängstigend. Ich habe zum Beispiel den Tod meiner Tante vorhergesehen und später den Tod einer Freundin, die einen Motorradunfall hatte. Wenn damals Jonas nicht bei mir gewesen wäre ... «
»Dann warst du da auch schon mit ihm zusammen?«, fragte Heike.
Chris hatte Jonas' Namen Heike gegenüber bereits erwähnt und bereute das jetzt beinahe. Sie seufzte. Nun war das Gespräch doch wieder zu ihm zurückgekehrt. »Als wir zusammengekommen sind, war ich fünfzehn und er siebzehn. Er war unglaublich in mich verliebt.« Sie musste lächeln. »Es hat ihn überhaupt nicht interessiert, dass ich bei seinen Mitschülern als Hexe und Irre und was weiß ich noch alles verschrien war und dass ich mich die meiste Zeit mit zerrissener Jeans allein im Wald herumtrieb. Im Gegenteil, er war davon völlig fasziniert. Ich war einfach total anders als alle anderen Mädchen, die er kannte.«
Chris spürte, dass die Erinnerung an ihre Liebe damals ihr gut tat. Sie schwieg einen Moment nachdenklich, dann fuhr sie fort: »Ich glaube, das Leben hatte ihn mir genau im richtigen Moment geschickt. Sonst wäre ich damals wirklich verrückt geworden. Ich hatte angefangen die Schule zu schwänzen und trieb mich nur noch draußen in der Natur herum. Ich konnte mit Tieren reden, aber ich war dabei, den Draht zu den Menschen völlig zu verlieren.«
»Kannst du das denn heute auch noch?«, fragte Heike neugierig. »Wie macht man das, mit Tieren reden? Ich rede die ganze Zeit mit Ahriman, aber ich habe nicht den Eindruck, dass er mich ver steht.« Sie zuckte die Achseln. »Oder er ist ganz einfach ein Individualist, der sich nicht gerne Befehle erteilen lässt. Meistens macht er genau das Gegenteil von dem, was ich ihm sage!«
Chris lachte. »Aber er mag dich sehr. Das sieht man. Tiere verstehen unsere Worte nicht. Sie reagieren auf die Emotionen, die mit den Worten verbunden sind. Diese Art, wie ich mit
Weitere Kostenlose Bücher