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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ich
gedenke es auch weiter zu halten.«
    Sein Blick war stet, seine
Stimme ruhig und fest. Keine Heimlichkeiten, keine Lügen, keine Seitensprünge
mehr.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »In
Anbetracht der Vergangenheit mußte ich das fragen. Thema erledigt — für immer.«
    »Gut.« Er ließ meine Schultern
los und umarmte mich. »Diese Frau war wohl echt wütend, was?«
    »Laut Tonys Beschreibung ja.«
Aber ich wollte an einem so festlichen Abend nicht auf diesem Vorfall
herumhacken, deshalb setzte ich hinzu: »Ich würde nicht mehr dran denken. Er
neigt zu Übertreibungen.«
    »Vielleicht galt ihr Interesse
ja jemand anderem als mir. Oder sie war neidisch, weil wir so viel Spaß
hatten.«
    »Kann gut sein. Mick scheint ja
aufrichtig erfreut über euren Entschluß. Und Chris?« Chris war seine älteste
Tochter und im ersten Studienjahr in Berkeley.
    Ricky lehnte an der
Backsteinmauer des Gebäudes, einen Arm um meine Schultern. »Die freut sich
auch. Weißt du, die beiden sind im letzten halben Jahr ganz schön erwachsen
geworden. Chris wäre heute abend auch gekommen, wenn nicht ihre derzeitige
Liebschaft gerade in die Brüche gegangen wäre. Sie wollte am Valentinstag nicht
das elfte Rad am Wagen sein — ihre Worte.«
    »Hast du’s den anderen Kindern
schon gesagt?«
    »Klar doch. Ich bin am Montag
nach L. A. runtergeflogen. Lisa und Molly sind begeistert; Red hat sie voll und
ganz erobert. Brian hat es vorgezogen, so zu tun, als wäre ich gar nicht da. Er
macht mir, offen gestanden, Sorgen, und deiner Schwester und ihrem Mann auch.
Wir wissen alle nicht mehr, was tun.«
    »Vielleicht eine Therapie?«
    »Charly informiert sich
gerade.«
    »Und was ist mit Jamie?«
    Die Art, wie Ricky grinste,
bestätigte meinen Verdacht, daß die fünfzehnjährige Jamie seine
Lieblingstochter war. »Ach, die hat geschmollt und gegrollt und der Form halber
ein bißchen gemotzt. Und dann hat sie gesagt, ihre Mutter sei so glücklich mit
Vic, daß sie längst vergessen habe, daß sie je mit mir verheiratet war.«
    »Autsch.«
    »Ein kleiner Hieb, weiter
nichts. Am Ende hat sie dann gesagt, da ihre Mutter glücklich ist, spräche wohl
nichts dagegen, daß ich’s auch werde. Und schließlich hat sie mir die Erlaubnis
erteilt, mit den Hochzeitsvorbereitungen fortzufahren.«
    Ich lachte. »Sie ist schon eine
Marke.«
    »Wetten, daß Red sie in einem
Jahr auch erobert hat?«
    »Das glaube ich auch.« Ich
zögerte, fragte dann: »Und Charlene? Wie geht’s ihr dabei?«
    »Ach, weißt du, bei allem
Mangel an Takt hat Jamie wohl recht. Als ich’s Charly eröffnet habe, hat sie
gesagt: ›Wie schön, Schatz‹, und mich auf die Wange geküßt, als wäre ich eins
von den Kindern, das irgendeinen kleinen Triumph errungen hat. Dann hat sie Vic
gebeten, uns was zu trinken zu machen, damit wir auf mein Glück anstoßen können,
und dann ist sie zu ihrem Faxgerät gegangen, um ein Fax zu studieren, das
gerade reinkam. Sie ist so damit beschäftigt, ihr Wirtschaftsdiplom zu machen
und mit Vic zu all diesen internationalen Finanzkonferenzen zu jetten und... Na
ja, es ist komisch, ich hätte nie gedacht, daß zwischen Charly und mir eines
Tages so was wie Gleichgültigkeit herrschen könnte, aber letztlich läuft’s
darauf raus.«
    Das mit dem Fax war wohl eher
Charlenes Art gewesen, ihre völlig natürlichen Trauer- und Verlustgefühle zu
verbergen — so wie das Gerede von Gleichgültigkeit Rickys Art war. »Die Dinge
ändern sich, Bruder Ricky.«
    »Ja, das tun sie, Schwester
Sharon.«
    Unsere Blicke trafen sich, und
wir lachten. »Na ja, manche Dinge«, sagte ich. »Aber du und ich — wir sind
immer noch eine Familie.«
     
    Als ich in dieser Nacht neben
Hy lag, war mir kälter, als die Temperatur rechtfertigte. Ich verkroch mich
tiefer unter der Decke und schmiegte meinen Rücken an seinen. An Schlaf war
nicht zu denken; meine Gedanken wanderten immer wieder von den schönen Bildern
des Abends zu der wütenden Frau in der Bar des Palomino. Entgegen dem, was ich
zu Ricky gesagt hatte, neigte Tony Nakayama keineswegs zu Übertreibungen. Wenn
er sich bemüßigt gefühlt hatte, mir von ihr zu erzählen, mußte sie wirklich
sehr wütend gewesen sein.
    Da war immer noch die
Möglichkeit, daß sie ein fanatischer Fan von Ricky war und ihre Wut sich gegen
Rae richtete — was beunruhigend genug wäre. Oder es war eine Frau, gegen die
Anne-Marie oder Hank einen Zivilprozeß gewonnen hatte — ebenfalls beunruhigend.
Oder eine unzufriedene Klientin

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