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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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gewertet werden. Die Kampfmoral der Herrenrasse war nicht zu brechen, und diese Tatsache gab auch den Verteidigern einen entsprechenden Auftrieb. Man war fest entschlossen, eine Ragnarok heraufzuführen, wie sie die Welt noch nicht erlebt hatte. Bis zum letzten Hauch wollte man ringen, und auch Frauen oder Kinder durften den asiatischen Bestien nicht in die Hände fallen.
    Die Augen des Erzählers glänzten fanatisch, kein Zweifel, das war ein ausgepichter Werwolf, solche Augen kannte Jugurtha, und Werwölfe würden auch – aus sicherer Entfernung – mit Worten bis zum bittern Ende kämpfen. Ein schöner Mann fürwahr, nur die abgebissenen Fingernägel, auf die Jugurtha Frau von Leyen gern aufmerksam gemacht hätte, störten den Gesamteindruck.
    Auch andere Passagiere gesellten sich zu ihnen, Sigga war der Magnet, es hagelte Fragen und Antworten, jeder wollte dieses und jenes wissen oder gehört haben. Der Bann war gebrochen, man wurde geschwätzig.
    Das deutsche Volk drohte in den schwärzesten Aberglauben seiner Vorzeit zurückzufallen. Die hirnrissigsten Gerüchte gingen um und wurden geglaubt, so etwa, daß der seinerzeit aus einer Kölner Klinik auf unerklärliche Weise verschwundene Leichnam des Dalai-Lama im Sarg der Kyffhäuser-Grabkammer liege, genauer: daß es zwar unzweifelhaft der Führer sei, der im Sarg liege, doch habe sein Gesicht ebenso unbezweifelbar die Züge des Dalai-Lama angenommen – und ähnlicher Unfug mehr. Zum Beispiel sollte Köpfler vielen Volksgenossen an ganz verschiedenen Orten gleichzeitig erschienen sein, und zwar am hellichten Tag, die Erscheinung hätte ihren Kopf unterm Arm getragen. Derlei Albernheiten wurden allen Ernstes von erwachsenen Menschen breitgetreten, bis der Oberregierungsbaurat, der ironisch lächelnd zugehört hatte, mit der Frage dazwischenfunkte: „Meine Herren, wo, glauben Sie, befindet sich Köpfler zur Zeit?“
    Niemand hatte eine Ahnung, verlegene und verlogene Blicke. Dann gab sich ein sympathischer, noch knuspriger Glatzentiger – „Ges-tatten, daß ich mich vors-telle: Wi-Gru S-teine und Erden, Fachgruppe Hüdroxüde, Fachuntergruppe Duralumin“ – einen Ruck und sagte mit dem gewissen reichseinheitlich genormten stählernen Blick: „Selbstvers-tändlich bei seinen Mannen.“ Worauf der kalorische Fachmann grinsend erwiderte: „Ja, aber bei seinen Mannen am Rio das Mortes.“ – „Wo bitte?“ – „Am Fluß der Toten im Matto Grosso.“ – „Och!“ Verständnisinniges, zugleich verbittertes Schmunzeln allerseits.
    Soviel man sehen und hören konnte, bestand dieser Transport nur aus Männern der Wirtschaft (und ein paar Sekretärinnen, fünf aufgenordeten und arroganten Bettschönheiten). Augenscheinlich lauter Junggesellen oder Strohwitwer – die Gattinnen waren wohl längst an der arktischen Riviera in Sicherheit. Wie überhaupt das Auffanglager Ju 33 das Sprungbrett ins zweite Leben für die Wirtschaftskanonen des Reiches zu sein schien; daher auch das Ziel des Inspekteurs für Wirtschaftsfragen von Eycke. (Was mochte mit seiner Sportmaschine geschehen sein?)
    Sie alle waren vertreten: Thyssenhütte, Reichsbank, Benzolverband, Opel, Hoesch, Weltraumplanung, Telefunken, VW, Ruhrkohle, IG-Farben, Degussa, Taunus, Henkell, Brüninghaus, DDG (Deutsche Denkgeräte) und so weiter. Man lernte einander rasch kennen, nun, da das große Schweigen zu Ende war. Die Herren wurden aufgeräumt, gebärdeten sich als sprühende Witzkisten, die Damen kicherten pflichtschuldigst, Kognak ging reihum, fast jeder der Herren rückte mit seiner Hüftflasche heraus. Sigga hatte wie immer durchschlagenden Erfolg. Mit Besorgnis merkte Jugurtha (dem selber wieder elend war), daß sie sich langsam verfärbte, ihr Gesicht wurde erdfahl, die Ringe unter den Augen traten dunkelviolett hervor, das Fleisch unterhalb der Jochbeine sank ein. Er sah, daß sie sich mühsam aufrecht hielt, und blieb ihr hart auf der Pelle. Das war schon deshalb nötig, weil der eine oder andere, je feuchter die Stimmung wurde, frech zu werden begann und weil auch Sigga für seinen Geschmack sich zu sehr gehenließ. Sie war nur noch ein Gespenst, das wurde immer deutlicher, eine Schwerkranke, ihr geschwächter Organismus war auf der Kippe, zu kapitulieren. Und weil sie so aussah, erkannte niemand in ihr das ehemalige Fernseh-Idol der deutschen Familie.
    Nach anfänglichem Sträuben hatten Siggas Geschlechtsgenossinnen sie in ihren Zirkel aufgenommen. Vorbehaltlos. Man tuschelte, tat vertraut,

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