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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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anwesenden Herren wie Waschmittelvertreter aus.
    „– sobald das Individuum als Ganzes am Ende seiner Tage eine in ihren Gefügebahnen vernachlässigte Welt ist – indes doch wieder nur, um von vorn, also anfänglich dem prozessierenden Prinzip aufbaulicher Weltbildung und Weltordnung eingereiht zu sein, in seines versinkenden Aufbaus geschichteten Energien. Diesem universaler Welt zugewandten Untergang des Individuums, einem aufwendigen Ereignis von urdramatischer Kraft, das im Hinblick auf die allbewahrsame Welteinheit freilich jedes tragischen Moments oder Motivs entbehrt, bei einiger Kenntnis schon wie bei gläubiger Ruhe das erwähnte Bewegungsspiel vom Ringen der Welten durch ihre Erzeuger, will sagen: der Atome, als ein überatomares Dahingleiten, genauer: als ein unvernichtbar-grundsätzliches Heimgehen des von der Erde abtretenden Individuums erscheinen läßt – diesem Untergang des Individuums also steht zeitlebens der ebenso dem Welt-Universalen zugewendete Aufgang des Individuums entgegen, gewährleistet im Aufgange der Art –“
    Gundlfinger nahm die Hände von der Balustrade und machte mit ihnen nach hinten fingernde Bewegungen, worauf ein bis dahin verborgen gewesener Junge vortrat und ihm ein aufgeschlagenes Buch übergab. Das Kind, es mochte etwa fünfzehn Jahre alt sein, war von großer Schönheit. Ein Engelsantlitz, blaß, mit anmutig strengem Ausdruck, von halblangen, pagenhaft geschnittenen, dunkelblonden Locken umrahmt. Mehr konnte Höllriegl nicht auffassen, denn schon war die Erscheinung wieder verschwunden. Nur ein Glanzlicht der grauen (oder stahlblauen) Augen erhellte Höllriegls umdüstertes Gemüt; es war ihm, als habe der Knabe einen Moment lang just ihn angesehen.
    Der Philosoph las irgend etwas vor, oder er zitierte aus dem Buch. Die Schönheit des Knabengesichts hatte Höllriegl wie ein Blitzstrahl getroffen. Ein Bote aus einer nordisch hellen und heilen Welt! So licht und hehr mochte Siegfried als Kind ausgesehen haben – Siegfried, wenn er zugleich Grieche gewesen wäre. In diesem Kind wurden Walhall und Olymp eins. Alles, der Redner, das Publikum, die Gegenwart – es versank. Das war unwahrscheinlich! Es gab also Schönheit, gepaart mit Reinheit! Es gab ein Engelwesen auf Erden!
    Angesichts der Erscheinung – sogleich fiel Höllriegl die Glockenstimme ein – wirkte die Menge rundum noch bedrückender. Und bedrohlich! Das waren ja entsetzliche Visagen, jetzt erst merkte ers. Die Frauen in der vordersten Reihe – hatte er sie nicht schon in Alpträumen gesehen? Er erinnerte sich der alten Weiblein in der Kapelle der „Residenz“. Wie die mit ihren patzweichen, tapsigen Händen nach ihm gegriffen hatten – ah! Ekel würgte ihn. Hinaus! Er sah auf eine Dame hinab, die, an die Säule gelehnt, vor ihm stand, sah sie von der Seite an. Was für ein gemeines, begehrliches, aufgeschwemmtes Weibsstück – und diese Glotzaugen, die anhimmelnd zu Gundlfinger emporsahen. Mit ihrer kupfrigen Haut und dem Hängebusen sah sie aus wie ein verrostetes Kriegsschiff der Liebe, wie eine Veteranin des Strichs. Und diese Ausdünstung!
    Höllriegl glitt von seinem Standort herunter und drängte wild zum Ausgang. Er mußte Gewalt anwenden, sich richtig durchboxen, denn die Leute rührten sich nicht vom Fleck; Gundlfinger, der Magier, der Klugschwätzer, der Betäuberich, hatte sie behext. Wut, gemischt mit Brechreiz, stieg in Höllriegl hoch, er verschonte die Erstarrten nicht mit Püffen und trat roh auf ihren Zehen herum. Eine Luft hatte es hier! Draußen in der Halle lichtete sich das Rudel, er kam nun schneller vorwärts. Da war endlich der Ausgang! Die Nebelluft schlug ihm wie ein Meer von Ozon entgegen. Tief atmete er ein und wieder aus, sein dampfender Atem hing in der Luft.
    Schwaches Heulen drang aus dem Tal herauf, es waren die Luftschutzsirenen von Sauckelruh. Die Alarme rissen nicht ab. Höllriegl schlenderte in das naßkalte Nebelchaos hinaus und umkreiste langsam die Lichtung, in der Gundlfingers Villa stand, dieses Gebäude von banaler Phantastik, das den Namen Walpurgis zu Recht trug. Ihre nebelhaften Umrisse wirkten wie die Dekoration einer Grottenbahn. Höllriegl stöberte Scharen der fetten Vögel auf, die zuvor ihre Kreise gezogen hatten und sich nun schwerfällig zu neuen Flügen erhoben.
    Dieser Gundlfinger war ein Dunkelmann, ein Nibelung, das stand für ihn fest. Vielleicht war er mehr – ein Fafnir. Die Ansprache in der Halle, sie war eine Szene aus dem Totenreich

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