Wenn das Dunkle erwacht (German Edition)
würde er im nächsten Moment die Kontrolle über sich verlieren. „Und du meinst, ich würde noch irgendwas von dem glauben, was du sagst? Zum Teufel, Saige. Soweit ich das beurteilen kann, lügst du schon, bevor du überhaupt den Mund aufmachst.“
„Das meinst du nicht wirklich ernst.“ Wahrscheinlich wuchs seine Wut ins Unermessliche, sobald er die Wahrheit erfuhr, schoss es Saige durch den Kopf.
Mit seinen dunklen Augen versuchte er ihren Gesichtsausdruck zu erforschen. In ihnen stand ein Schmerz, der viel tiefer ging als seine körperlichen Verletzungen. „Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung, was ich glauben soll, wenn ich dich ansehe.“
„Wer ist das gewesen, Quinn?“ Sie hatte in seinem zornigen Blick eine unbehagliche Wahrheit bemerkt, und die Frage kam ihr einfach so über die Lippen, weil sie unbedingt die Wahrheit wissen musste.
„Wer ist was gewesen?“, fauchte er mit bebender Brust.
„Der dich einmal so verletzt hat.“ Der Gedanke, dass irgendjemand, irgendeine andere Frau, solche Macht über ihn besaß, vernichtete sie fast. Aber sie hatte recht, da war sie ganz sicher. Saige konnte die Dämonen seiner Vergangenheit geradezu spüren, die jetzt in ihm aufstiegen. Eine wilde, primitive Wut, die durch das, was sie ihm vorhin angetan hatte, wieder zum Leben erweckt worden war und etwas Finsteres und Zerstörerisches an die Oberfläche gebracht hatte.
Seine Stimme bestand nur noch aus einem rauen Krächzen. „Hier geht es nicht um mich. Sondern ausschließlich um dich. Mein Leben geht dich überhaupt nichts an.“
„Nicht? Du weißt doch alles über mich. Ist es nicht einfach nur fair, wenn ich ein bisschen was über dich erfahre?“
„Du bist mir abgehauen, und dann bin ich beinahe gestorben, um deinen blöden Arsch zu retten!“, brüllte er, zitternd vor Wut. Sein Ausbruch traf sie wie ein Feuersturm, und sie hasste sich selbst dafür, ihn noch mehr verletzt zu haben. Sie spürte die Kränkung, die sie seinem Ego zufügte, als wäre sie etwas körperlich Greifbares. Hörte sie in dem Knirschen seiner Stimme. Erblickte sie in seinem verzerrten Gesichtsausdruck.
Seit Saige vor diesem Mann davongelaufen war, hatte sie das bedauert, jeder einzelne Schritt hatte tiefer in die Wunde geschnitten. Die Gründe dafür verstand sie nicht, aber andererseits war das nichts Neues für sie. Ihr ganzes Leben schien aus solch unerklärlichen Geheimnissen zu bestehen. Warum sollten ihre Gefühle für den ebenso komplizierten wie attraktiven Michael Quinn irgendwie anders sein?
Sie machte sich keine Illusionen darüber, wie das enden musste, aber noch konnte niemand wissen, wie viel Zeit sie bis dahin haben würde. In diesem Augenblick erlebte sie eine atemberaubende Offenbarung.
Sie wollte ihn. Nicht bloß für ein kurzes Vergnügen, und auch nicht, um durch ihn ihre Trauer zu vergessen. Sondern ganz für sich, wie lange es auch immer dauern würde, damit sie sich in ihm verlieren könnte … ihn mit allen Sinnen aufnehmen könnte … und ihn besitzen würde. Ganz und gar.
Erschauernd vor Gefühlsüberschwang, flüsterte Saige seinen Namen. Nichts hätte sie lieber getan, als ihn zu berühren, zu umarmen. „Bitte. Lass es mich dir erklären. Ich verrate dir die ganze Wahrheit, wenn du mir nur eine Chance gibst.“
„Das kannst du immer noch, wenn wir wieder in der Stadt sind. Bis dahin würde ich die Klappe halten, wenn ich du wäre. Man weiß ja nie“, murmelte er. „Vielleicht gefällt mir gar nicht, was du zu sagen hast, und ich komme zu dem Schluss, dass es doch besser ist, dich einfach hier zurückzulassen.“
Plötzlich hatte er einen kalten, leeren Ausdruck in den Augen, und in ihr stieg eine Panik auf, die sie noch nicht einmal bei den beiden Casus empfunden hatte. „Ich weiß, dass du wütend auf mich bist, aber so etwas würdest du niemals tun.“
„Wenn du das wirklich glaubst, dann bist du wohl doch nicht so schlau, schätze ich.“ Quinn drehte ihr den Rücken zu und marschierte weiter durch den Dschungel.
Saige folgte beklommen. Wenn es zwischen ihnen eine Tür gäbe, hätte er sie ihr gerade ins Gesicht geknallt. Es würde nicht leicht werden, das wieder in Ordnung zu bringen, aber aufgeben wollte sie auf keinen Fall.
Irgendwann in den letzten vierundzwanzig Stunden hatten sich ihre eigenen Spielregeln unmerklich verändert, und jetzt wollte sie nicht mehr vor ihm davonlaufen, sondern sich in seine Arme werfen. Er hatte sie gesucht, sein eigenes Leben aufs Spiel
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