Wenn das Glück dich erwählt
ertappte sich gerade noch dabei, dass sie im Begriff war, ihm wie eine Ehefrau die Hände auf die Schultern zu legen.
Sie sah an Jacobs Blick, dass ihm die Geste nicht entgangen war, aber wie schon zuvor war in seinen Augen nicht der geringste Vorwurf zu erkennen. Nur ein gewisser Kummer. Oder war es Mitleid?
Evangeline kehrte wieder an die Arbeit mit den Schneehühnern zurück, rupfte sie und schnitt sie in mundgerechte Stücke. Es waren im Gegensatz zu Hühnern sehr magere kleine Tiere, mit nur wenig Fleisch an ihren Knochen, sodass man einige von ihnen brauchte, um ein anständiges Essen zuzubereiten.
»Kommen Sie, Evangeline, und versuchen Sie es noch einmal«, sagte Scully lächelnd. »Ich bin geschlagen.«
»Schachmatt«, bestätigte Jacob mit einem Anflug eines Lächelns.
Evangeline zögerte nur kurz, dann wusch sie ihre Hände, trocknete sie an ihrer Schürze ab und übernahm Scullys Platz. Irgendwann erwachte Abigail, kam verschlafen und in ihre große Daunendecke eingewickelt zum Tisch hinüber und bat darum, dass jemand sie das Schachspielen lehren möge. Jacob verlor schließlich und stand auf, sodass Scully seinen Platz einnehmen konnte.
Er setzte sich, hob Abigail auf seinen Schoß und zeigte ihr geduldig, wie die Figuren aufgebaut wurden, wann sie die »Männer« eines anderen Spielers überspringen durfte und wann nicht, und ließ sie dann gegen Evangeline antreten. Und wie bei ihr nicht anders zu erwarten war, gewann Abigail sofort ihr allererstes Spiel.
Das Turnier ging den ganzen Nachmittag weiter und wurde gleich nach dem Abendessen wieder aufgenommen, sobald die Männer aus der Scheune zurückgekehrt waren, wo sie die Pferde und Jacobs Maulesel gefüttert und die Kuh gemolken hatten. Evangeline schöpfte die Salme von der Milch und gab etwas davon Hortense auf einem kleinen Tellerchen.
»Ich habe Jacob schon fast dazu überredet, hier drinnen zu übernachten«, sagte Scully, als er fröstelnd seine Jacke auszog. »Großer Gott, es ist aber auch wirklich kalt genug dort draußen, um ...« Er brach ab und schaute Abigail an, die wie immer aufmerksam die Ohren spitzte. »Es ist eiskalt dort draußen, das ist alles«, schloss er lahm.
»Na ja, vielleicht könnte ich meine Decke ja auf dem Boden vor dem Kamin ausbreiten«, räumte Jacob widerstrebend ein. Als niemand etwas darauf erwiderte, fuhr er fort: »Ich werde natürlich gleich nach Tagesanbruch aufbrechen. June-bug erwartet mich bestimmt schon, und Trey wird auch heimreiten wollen, sobald die Postkutsche erschienen ist.«
Scully war den Blicken der anderen bis dahin ausgewichen. Jetzt war für alle offensichtlich, dass dieser Trey ihn interessierte, und das wiederum machte auch Evange li ne neugierig. »Erwartet er jemanden mit der nächsten Kutsche?«, fragte Scully.
Jacob dachte lange über seine Frage nach, bevor er etwas sagte, und Evange li ne fragte sich, ob diese Angewohnheit seine Frau nicht oft zum Wahnsinn treiben mochte. »Ich glaube, er wartet auf seine Tochter, die mit der Kutsche kommen soll«, sagte er schließlich.
Scully, der am Kamin lehnte, schaute sich verwundert um. »Er hat eine Tochter? Dieser Ganove?«
Jacob lächelte. »Er ist kein schlechter Kerl, Scully. Außerdem können selbst Ganoven Kinder haben. Sie ist ein zierliches kleines Ding, kaum größer als unsere Abigail hier. Sie soll etwa acht Jahre alt sein, hörte ich. Trey hatte sie fortgeschickt zu einer unverheirateten Tante irgendwo in der Nähe von Choteau, nachdem seine Frau gestorben war, aber da jetzt auch die Tante tot ist, muss er sie wohl wieder zu sich nehmen.«
Evangeline wurde von tiefem Mitgefühl für dieses Kind erfasst, obwohl sie sich kein voreiliges Urteil über Trey erlaubte. Aber Scully schien ihn nicht zu mögen, und sie fragte sich, warum. Scully hatte sich bisher als toleranter, verständnisvoller Mann erwiesen, der dazu neigte, eher das Gute als das Schlechte in seinen Mitmenschen zu sehen.
»Wie heißt sie?«, fragte Abigail gespannt. »Werde ich sie kennen lernen?«
»Ich weiß gar nicht, wie sie sie nennen«, gab Jacob zu. »Ich erinnere mich nicht, ihren Namen je gehört zu haben. Aber ich werde es herausfinden, damit ich es dir sagen kann, wenn wir uns wiedersehen.«
Abigails Augen leuchteten auf bei dem Gedanken, vielleicht schon bald eine Freundin in der Nähe zu haben. »Ich glaube, ich werde sie Elisabeth nennen, wenn ich an sie denke«, vertraute das kleine Mädchen ihnen lächelnd an. »Bis ich ihren richtigen
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