Wenn das Herz im Kopf schlägt
und zieht die Schlinge so hoch, dass der Knoten an den Balken stößt. Das andere Ende fällt bis zum Boden. Dann steigt sie hinunter, stellt den Stuhl zur Seite und schiebt den Couchtisch an die Wand. Jansen stöhnt. Sie bindet seine Beine los, zieht ihn an seinem Anzugrevers auf die Füße. Er gibt einen jammernden Schmerzlaut von sich.
Sie zieht den Stuhl wieder unter das Seil. »Steig da drauf!«
Tränen laufen ihm über sein Gesicht, Rotz läuft aus seiner Nase. Er schüttelt panisch den Kopf, brüllt mit seinem zugeklebten Mund wie ein verschrecktes Rind.
»Du willst nicht?« Sie nickt wissend. Sie steigt auf den Stuhl und zieht die Schlinge gut einen Meter herunter. Das Seil surrt über den Balken.
Hals über Kopf läuft er los. Zur Tür und auf den Flur hinaus.
»Scheiße.«
Mit wenigen Schritten hat sie ihn eingeholt, schubst ihn gegen die Wand. Er prallt neben der Hintertür gegen den Lichtschalter. Draußen, an der Außenwand, flackert die kleine Lampe auf und wirft Licht auf die Steintreppe. Sie schubst ihn den Flur entlang zurück ins Wohnzimmer. Seine Hosenbeine verfärben sich dunkel. Urin läuft auf seine Schuhe. Dann bricht er zusammen.
»Scheiße, Scheiße!« Sie tritt nach ihm. »Du gottverdammter Schwächling.«
- 57 -
Böhm holt sein Handy aus der Jacke und sieht auf dem Display, dass es das Büro ist. »Wenn ich da drangehe, kann es sein, dass ich weg muss.«
Brigitte nickt. »Ich muss auch noch ins Büro. Die brauchen noch Akten, und ich muss alles soweit fertig machen, dass die mich vertreten können.« Sie geht auf ihn zu und streichelt sein Gesicht. »Lass uns heute Abend weiterreden.«
Joop ist völlig aufgelöst. Er gibt Böhm einen kurzen Bericht. Lena Koberg! Dieses lichtlose Dia in seinem Kopf hat mit ihr zu tun, da ist er ganz sicher. Was hatte er gesehen und doch nicht zur Kenntnis genommen?
»Ich komme!« Böhm legt auf. Er nimmt Brigitte in den Arm. »Ich muss los!«
»Ich weiß.«
Im Flur zieht er sich eine trockene Jacke an und läuft zum Auto. Auf der Fahrt schiebt sich ein Gedanke in den Vordergrund, der sich ohne sein Zutun wiederholt wie ein Mantra: Bitte Gott, lass sie nicht sterben! Dann lieber ein anderer Mann! Er hat ihn schon mindestens zwanzigmal gedacht, bis er in sein Bewusstsein dringt. Er spricht ihn aus. Ungläubig schüttelt er den Kopf.
Ein halber Tag, und alles hat sich verändert!
Er ist schon fast im Präsidium, als ihm auffällt, dass es nicht mehr regnet. Die dichten Wolken schlucken das Tageslicht. Erst jetzt bemerkt er, dass er die Straße kaum sieht. Erst jetzt schaltet er das Licht ein.
In seinem Büro haben sich Steeg, Lembach und Joop versammelt. Sie stehen vor der Gebietskarte, diskutieren, welche Gebiete zuerst systematisch abgesucht werden sollten.
Böhm nickt den anderen kurz zu. »Wie viele Leute haben wir da draußen?«
»Zwanzig. Vier Hundeführer!«
»Die sollen mit den Äckern um den Behrenshof herum anfangen!«
Steeg steckt Fähnchen in die Ausgangspositionen und tritt einen Schritt zurück. Er schüttelt den Kopf. »Chef, die hat Wind bekommen. Ich schwöre, die ahnt, dass wir ihr dicht auf den Fersen sind. Die wäre doch wahnsinnig, sich jetzt mit Jansen in diesem Gebiet aufzuhalten!«
Böhm stellt sich neben van Oss, der still am Schreibtisch lehnt. Und dann ist es plötzlich da. Das unbelichtete Dia in seinem Kopf zeigt erste Konturen.
Lena Koberg war es, die zusammen mit Jansen die Leiche von Gietmann abtransportiert hatte. Sie hatte dabei Musik gehört. Langsam gibt das kleine Lichtbild in seinem Kopf die Szene frei. Sie hatte routiniert gearbeitet, mit stoischer Gleichgültigkeit.
Aber irgendetwas war da!
Er schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirn.
Sie hatte Gietmanns Fesseln gelöst, um ihn in den Sarg zu legen. Sie hatte die Knoten geöffnet, ohne auch nur einen Augenblick des Suchens oder Zögerns, so wie man Knoten öffnet, die man selber gemacht hat. Er hatte es gesehen. Er hatte ihr zugesehen. Er hatte nicht weiter darüber nachgedacht und es dann wieder vergessen.
Er sieht Steeg an. »Aber genau damit haben wir es zu tun. Mit einer Wahnsinnigen. Sie erledigt einen Auftrag, und sie muss ihn zu Ende bringen. Es geht nicht darum, ob sie noch eine reale Chance hat. Sie muss!«
Joop versenkt seine Hände tief in den weiten Hosentaschen. »Sie ist auf Droge, da bin ich sicher!«
Steeg greift zum Telefon, gibt durch, in welchem Gebiet zuerst gesucht werden soll.
Sie greifen nach ihren Jacken. Böhm
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