Wenn das Verlangen uns beherrscht
aber in der Praxis? „Und du hast nie daran gedacht, deine Meinung zu ändern?“
„Wenn du und Grace das Baby nicht mehr gewollt hättet“, sagte sie langsam, als wähle sie die Worte sorgsam aus, „und ich das Baby hätte behalten können, wäre ich verrückt gewesen vor Freude. Aber es war von Anfang an euer Baby, und so ließ ich Gedanken an eine Zukunft mit ihm gar nicht erst zu.“
„Du bist eine erstaunliche Frau“, sagte er bewundernd. Susannah Parrish war wirklich die selbstloseste Person, die ihm je begegnet war.
Wieder blickte sie wie abwesend auf ihr Eis, und als sie Matthew wieder ansah, standen ihr Tränen in den Augen. „Als ich sechzehn war, war ich schon einmal schwanger, aber ich habe das Baby verloren.“
Vor Mitgefühl stockte ihm der Atem. Was hatte sie durchgemacht! Er griff nach ihrer Hand. „Das tut mir leid.“
Sie erwiderte den Druck seiner Finger. „Die Schwangerschaft war natürlich nicht geplant, aber ich habe das kleine Wesen sofort geliebt.“ Sie schob die Eisschale zur Seite und stützte das Gesicht in die Hände. Seit damals hatte sie nie wieder mit jemandem über das Kind gesprochen. Diese Periode ihres Lebens versuchte sie möglichst zu verdrängen, und meist gelang ihr das auch. Aber sie hatte das Gefühl, mit Matthew alles besprechen zu können. Außerdem sollte er davon wissen, damit er ihre Haltung verstand.
Sie sah hoch. „Ich wurde schwanger, weil ich wütend auf meine Großeltern war.“
„Weil sie unbedingt das Sorgerecht haben wollten?“
„Das auch, aber auch aus anderen Gründen. Im Rückblick muss ich wirklich sagen, dass ich ein gutes Kind und ein braves Mädchen war. Aber sie waren nie zufrieden. Dauernd wurde ich ermahnt, mich wie eine Lady zu benehmen. Ich sollte ein Hit in der Gesellschaft sein, die für sie so wichtig war. Und so war es kein Wunder, dass ich irgendwann rebellierte. Ich hatte den jungen Mann, er war auch noch ein Teenager, auf einer der Partys meiner Großeltern kennengelernt, und aus Trotz ließ ich mich von ihm verführen. Und natürlich wurde ich gleich schwanger.“
Verständnisvoll nickte er. „Das war Pech.“
„Als wir es dann zu Hause erzählten, war meine Mutter auch nicht begeistert, aber seine Eltern setzten mich sofort unter Druck. Ich sollte schriftlich versichern, dass ich das Kind gleich nach der Geburt zur Adoption freigeben würde, sodass nichts der glorreichen Zukunft ihres Sohnes im Wege stand.“
Sehr genau konnte sie sich noch an ihre Gefühle dieser Familie gegenüber erinnern. Reiche Leute glaubten immer, sie könnten alles durchdrücken, weil sie Geld und damit Macht hatten. Matthews Familie machte bisher zwar einen netten Eindruck, aber Susannahs Erfahrungen mit Familien, bei denen das Geld von Generation zu Generation vererbt wurde, waren ausgesprochen bitter.
Sie dachten und funktionierten anders als normale Menschen. Das hatte ihre Mutter erfahren müssen, und auch Flynn würde es noch merken, wenn auch wahrscheinlich im positiven Sinn. Denn die Kincaids würden alles für ihn tun, weil er zu ihrer Familie gehörte.
Deshalb würde Susannah sich nie mit einer solchen Familie einlassen. Und das war auch der Grund gewesen, weshalb sie anfangs Graces Wunsch nach einer Eispende abgelehnt hatte. Aber dann hatte sie gemerkt, wie verzweifelt sich die junge Frau nach einem Kind sehnte. Außerdem war die eigene Mutter in großen finanziellen Schwierigkeiten, und so hatte sie schließlich zugestimmt.
Vorsichtig warf sie Matthew einen Blick zu und atmete erleichtert auf, als sie sah, dass er offenbar empört darüber war, wie man ihr mitgespielt hatte. Abgesehen davon, dass er zu solch einer reichen und einflussreichen Familie gehörte, war er wirklich ein guter Mann. Aber wie stark er sich seiner Familie verbunden fühlte, wurde in allem deutlich, was er tat. Auch wie sehr er daran gewöhnt war, Geld und Macht für selbstverständlich zu nehmen.
„Das ist ja ungeheuerlich“, stieß er wütend hervor.
Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen. Nicht nur, weil sie alles wieder so klar vor Augen hatte, als sei es gestern geschehen, sondern auch weil Matthew sie verstand. „Dieser Meinung war meine Mutter auch. Sie war natürlich nicht glücklich darüber, dass ich schwanger war, aber sie freute sich auf das Enkelkind. Darum unterschrieb ich die Erklärung nicht, sondern war fest entschlossen, das Baby zu behalten.“
„Und dann?“
„Es würde zu früh geboren. Die Ärzte meinten, dass das
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