Wenn dein dunkles Herz mich ruft (German Edition)
fernab des ganzen Wahnsinns.
Wenn es die Weltmeere dann noch gab. Wenn noch ein Dschungel existierte, um ein Schiff zu bauen. Wenn sie noch lebte.
Unschlüssig blieb Kimberly stehen. Aus dem Augenwinkel konnte sie die schaukelnde Holy Devil sehen, ihre Vergangenheit, ihr Zuhause. Ihr Herz krampfte sie schmerzhaft zusammen, sie glaubte fühlen zu können, wie es begann, in der Mitte auseinanderzureißen. Zukunft oder Vergangenheit, Verhasstes oder Geliebtes, Neues oder Bekanntes? Leben oder Tod? Denn dass noch mehr Menschen auf Captain Barrons wahnwitziger Mission sterben würden, dessen war sie sich sicher.
Ein Geruch von Strand und Palmen und Kokosnuss stieg ihr in die Nase, vermischt mit etwas anderem, wildem. Und plötzlich war eine andere Frage noch wichtiger: Leben oder Liebe?
Wenn sie jetzt weglief, würde sie Tyler nie wieder sehen. Würde nie herausfinden, ob sie wirklich Blutsfeinde waren oder ob es doch eine Zukunft für sie gegeben hätte. Würde nie erfahren, wie es sich anfühlte, sich voll und ganz fallen zu lassen, um in der Leidenschaft aufzugehen.
Kimberlys Knie gaben unter ihr nach, knickten einfach ein und ließen sie unsanft in den Sand fallen. Sie rollte sich zusammen, zog die Knie so fest an die Brust, wie sie konnte und atmete tief durch. Die Hoffnung hatte ihr Herz zu schnell schlagen lassen, Wunschträume und Sehnsucht rasten durch ihre Adern, ließen sie zittern und keuchen. Sie grub die Hände in den Sand, der sich staubig und heiß anfühlte, drückte das Gesicht gegen die rauen Körner. Als die erste Träne sie fortspülte und eine staubige Spur hinterließ, kämpfte sie sich auf die Beine und zwang sich, weiter zu gehen. Sie wollte nicht weinen, nicht schon wieder. Das führte zu nichts.
Der Dschungel erhob sich vor ihr, grün und bedrohlich, er wuchs mit jedem Schritt. Die Pflanzen gediehen hier dicht an dicht, strebten nach der Sonne. Und in sie war eine Bresche geschlagen. Unsauber, hektisch und voller Zorn. Abgeschlagene Stiele und Blätter lagen wie tote Würmer auf dem Boden.
Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte sie dem Pfad tiefer und tiefer in den Dschungel, achtete kaum noch auf ihre Umgebung. Jetzt, wo sie vor der Wahl stand, klang das Zirpen und Rauschen und Knacken gar nicht mehr so unheimlich. Es klang verlockend, zum ersten Mal in ihrem Leben.
Bis sie ein anderes Geräusch hörte, das noch verlockender klang, das ihr Herz rasen ließ. Das Atmen eines Menschen. Sie widerstand dem Drang, zu rufen, zückte stattdessen ihren Säbel und schlich leise weiter. Die Blätter und Zweige unter ihren Füßen raschelten leise. Jetzt erkannte sie auch, dass es kein Atmen war, was sie gehört hatte.
Der Pfad endete vor einem ausgehölten Baumstamm, einer dunklen, engen Nische, in der sich etwas bewegte und aus der die Geräusche kamen.
Ihre Füße blieben mitten im Schritt stehen, wagten sich plötzlich nicht mehr näher heran. Einerseits wollte sie ihn nicht erschrecken, andererseits konnte sie sein wütendes Gemurmel nicht länger ertragen. Er fluchte und wütete und ein toter Ast nach dem anderen brach in seinen Händen.
„Tyler?“
Die Geräusche verstummten augenblicklich, die Gestalt im Baum zuckte zusammen und erstarrte.
„Tyler, bist du das?“
Lange Zeit kam keine Antwort, dann raschelte es, als er sich bewegte. „Verschwinde.“
„Warum bist du weggelaufen? Warum hast du Frankie angegriffen?“
„Hau ab, Kim! Ich will dich nicht sehen.“ Seine Stimme war heiser und dunkel, ein raues Knurren, das bedrohlich klang.
Wut rauschte durch ihre Adern, verpuffte aber sofort wieder. Seufzend hockte sie sich vor den dunklen Eingang und versuchte, hineinzuspähen, aber sie konnte nur einige Flecken nackte Haut und hellen Stoff erkennen. Nicht sein Gesicht. „Was ist da eben passiert? Geht es dir gut?“
„Nein!“ Der Stamm knirschte und ächzte, als er sich bewegte und er kam so plötzlich hervor, dass Kimberly stolperte und auf dem Boden landete. Tyler kniete sich über sie, sein Gesicht war wieder wild, voller Zorn und seine Augen glühten golden. „Nein, mir geht es nicht gut.“
„Was hat er dir erzählt? Anór. Du warst bei ihm, nicht?“
Seine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen, aber er antwortete nicht.
Kimberly versuchte, sich zu bewegen, denn sein Gewicht drückte auf ihre Brust, aber er war zu schwer. Wenn er sie angriff, würde sie nicht fliehen können. „Hat er dir gesagt, du wärst böse? Dass du ihm folgen würdest?“
Tylers
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