Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
verzogen. Nur noch ein leichter Dunstschleier hing über dem Wasser des Torrens River, auf dem die Morgensonne glitzerte wie Blattgold. In den Bäumen lärmten Vögel, die ganz anders klangen als die heimischen Finken und Meisen. Sie kniff die Augen gegen das blendende Licht zusammen und versuchte, sie genauer zu betrachten. Bunt schienen sie zu sein. Ausgesprochen bunt. Die Äste waren übersät mit Unmengen kanariengelber und himmelblauer Farbtupfer. Es sah aus wie ein Blütenmeer. Bis auf ein unmerkliches Signal hin der ganze Schwarm aufflog und zwischen den Baumwipfeln verschwand.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, Adelaide und die Umgebung näher zu erkunden, aber kaum hatte die Familie sich zum ersten gemeinsamen Frühstück, das zur allgemeinen Erleichterung nicht mehr aus dem gewohnten Porridge, sondern aus frisch gebackenem Brot, Butter und Honig bestand, versammelt, da erschienen bereits die ersten Besucher.
» Oh, das wird der gute Teichelmann sein«, sagte ihr Vater, als von draußen Stimmengewirr zu hören war, und stellte behutsam die Tasse Tee ab, die seine Frau ihm soeben eingeschenkt hatte. » Er will euch wohl seine Aufwartung machen.«
» So früh am Tag?« Ihre Mutter runzelte ungehalten die Stirn.
» Er ist ein wenig verwildert«, gab der Vater zu. » Aber ein herzensguter Mensch. Du wirst schon sehen.«
» So wie es sich anhört, bringt er einen ganzen Hofstaat mit«, bemerkte August launig und erhob sich, um aus dem Vorderfenster zu spähen. » Ach, du lieber Himmel…«
» Er hat die Schüler und einige Eltern dabei«, erklärte ihr Vater und ging schon zur Haustür, um den frühen Gast willkommen zu heißen. » Gestern hatte ich ihnen freigegeben, damit sie ihre Familien besuchen konnten, und nun haben die sie wiederum hierher begleitet.«
» Bitte, Theodor, wir müssen sie doch nicht etwa alle hereinbitten?« Das kaum verhohlene Entsetzen in der Stimme ihrer Mutter war verständlich, fand Dorothea, angesichts der laut schnatternden Menge, die dort draußen durcheinanderwuselte. Bisher hatte sie noch keine australischen Eingeborenen aus der Nähe gesehen. Jetzt nutzte sie die Gelegenheit, sie genau zu betrachten. Es waren mindestens zwanzig Kinder und ebenso viele Erwachsene. Allesamt ebenholzbraun, mager und sehnig, mit üppigem, schwarzem Kraushaar. Auf den ersten Blick schienen sie erschreckend hässlich; ein Eindruck, der durch die zerrissenen, verdreckten Kleidungsstücke noch verstärkt wurde. Nicht einmal die Bettler in Dresden hätten solche Lumpen noch angezogen. Weder trugen sie irgendeine Art von Kopfbedeckung noch Schuhe oder Sandalen.
» Beruhige dich, Liebste.« Theodor Schumann tätschelte ihre Hand, mit der sie seinen Jackenärmel gepackt hatte. » Das würden sie gar nicht wollen. Aber es ist eine gute Gelegenheit, euch alle miteinander bekannt zu machen. Kommt.«
Dorothea griff nach Lischens Hand und zog sie hinter sich mit hinaus. August und Karl folgten ihnen. Mitten unter den Eingeborenen ragte ein hochgewachsener, barhäuptiger Mann auf wie ein Turm: Missionar Christian Teichelmann, von dem ihr Vater nur in Worten höchster Bewunderung geschrieben hatte. Deutlich jünger als Theodor Schumann hatte er nur zu gerne die Reisen zu den Gruppen im Hinterland übernommen und sich dabei ein immenses Wissen über die Eingeborenen der Umgebung angeeignet.
Eben hatte er ihren Vater oben an der Treppe gesehen und hob die Hand, um ihm zuzuwinken. » Gott zum Gruß«, rief er. » Wie freue ich mich, endlich die Familie meines werten Kollegen kennenzulernen! Gnädige Frau, Ihr Diener.«
Die Schwarzen wichen ein wenig zurück und schienen äußerst interessiert zu beobachten, wie Familie Schumann und Missionar Teichelmann sich begrüßten. Er verbeugte sich formvollendet vor ihrer Mutter, machte den guten Eindruck jedoch in Windeseile wieder zunichte, indem er ihr ein abgehäutetes Tier hinhielt. Auguste Schumann war nicht übermäßig empfindsam. Als Hausfrau war sie den Anblick toter Tiere durchaus gewöhnt. Dies jedoch ließ sie angeekelt zurückzucken. » Ein Wallaby«, erklärte er, ohne ihren Abscheu zu realisieren. » Die guten Leute haben es heute bei Sonnenaufgang als Willkommensgeschenk für Sie erlegt.«
Es war offensichtlich, dass ihre Mutter es nicht über sich bringen konnte, die schlaffe, seltsam deformiert wirkende Form anzufassen. Also nahm Dorothea sich ein Herz, trat vor, knickste, sagte: » Vielen Dank«, und fasste das unwillkommene Geschenk mit spitzen
Weitere Kostenlose Bücher