Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
Fingern an den Hinterläufen. Vorsichtig, um sich nicht mit Blut zu beschmieren, trug sie es in die Küche und legte es erst einmal in den Spülstein. Dort konnte man es später genauer inspizieren und eventuell in den Fluss entsorgen. Ein seltsames Tier. Die Bilder, die sie von Kängurus gesehen hatte, hatten aufrecht auf zwei großen Hinterläufen hockende Kreaturen gezeigt mit winzigen Vorderbeinen und einem Kopf wie ein Reh. Dies hier war vielleicht so groß wie ein Feldhase. Aber die Proportionen waren ähnlich. Wenn sie wenigstens den Kopf abgeschnitten hätten! Die dunklen, blinden Augen schienen sie vorwurfsvoll anzustarren. Dorothea erschauerte unwillkürlich, warf ein Tuch darüber und ging zurück zu den anderen.
Dort stellte ihr Vater gerade seine Zöglinge vor. » Das ist Koar, mein Musterschüler. Er liest nicht nur mühelos mehrsilbige Wörter und schreibt nach Diktat nahezu fehlerlos, er beherrscht auch alle Grundrechenarten, kann das Vaterunser und die Zehn Gebote aufsagen und ist sehr gut in Geografie.«
Dem Jungen war nicht anzusehen, ob er überhaupt verstand, dass sein Lehrer über ihn sprach. Irgendetwas an ihm war anders als bei seinen Mitschülern. War es seine so betont zur Schau getragene Gleichgültigkeit, während die anderen vor Ungeduld, endlich ihren Knicks oder Diener vor Auguste Schumann machen zu dürfen, mit den Füßen scharrten? Oder die Aura von Einsamkeit, die ihn umgab? Hielt er sich absichtlich abseits von den anderen? Warum war er als anscheinend Einziger nicht in Begleitung eines Verwandten?
Die Reihe rückte weiter vor, und sie erwiderte automatisch das scheue, freche oder neugierige Lächeln in einem Gesicht nach dem anderen.
Während die Eingeborenen nach der Begrüßung alle zu der Feuerstelle vor der Lehmhütte schlurften, in der die Kinder untergebracht waren, und dort ihre mitgebrachten Essensvorräte auspackten, zogen Familie Schumann und Missionar Teichelmann sich wieder ins Speisezimmer zurück.
» Herr im Himmel, welch ein Anblick: Tee und Honigbrot!« Teichelmann rieb sich vor Freude die Hände. » Ein wahres Festmahl nach all dem, was ich die letzten Wochen im Busch zwischen die Zähne bekommen habe.«
» Was denn so zum Beispiel?«, wollte Lischen es genauer wissen.
» Lass mich nachdenken: Gestern war es eine Eidechse, vorgestern ein Flughörnchen mit Birirablättern, vorvorgestern…«
» Sie ziehen mich auf! So was isst man doch nicht.«
» O doch, es gibt kaum etwas, was die Eingeborenen nicht essen. Als ich hier neu war, habe ich oft an ihren Mahlzeiten teilgenommen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Dabei habe ich Bekanntschaft mit diversen Maden, Insekten und anderen nach unseren Maßstäben nicht essbaren Dingen gemacht, die du mir nicht glauben würdest.«
» Das ist ja eklig«, hauchte Lischen sichtlich erschüttert. » Wieso können sie nicht normal essen wie wir?«
Teichelmanns Gesicht wurde ernst. » Für sie ist es normal. Schließlich sind sie es nicht anders gewöhnt. Wenn du seit deiner frühen Kindheit Regenwürmer und Engerlinge gegessen hättest, fändest du sie auch nicht eklig.«
» Igitt, Engerlinge«, Lischen schüttelte sich bei der Vorstellung, und auch Dorothea musste schlucken. Sie sah, wie ihre Eltern einen Blick wechselten. Ihr Vater nickte, räusperte sich und sagte: » Bitte, Kollege Teichelmann, könnten wir vielleicht das Thema wechseln?«
Teichelmann sah einen Augenblick verwirrt drein, dann verstand er und lächelte reumütig. » Verzeihung, ich fürchte, ich bin tatsächlich ein wenig verroht. Aber gut, dass Sie mich daran erinnern: Es gibt da etwas Wichtiges, das ich mit Ihnen zu besprechen hätte.« Er leerte seine Tasse mit einem einzigen Schluck und lehnte sich zurück. » Gestern Abend hatte ich eine Unterredung mit Gouverneur Gawler und Mr. Moorhouse. Beide Herren haben nochmals ihr Interesse daran bekräftigt, dass diese Schule erhalten bleibt. Sie wissen ja, dass ich in Kürze zum amtlichen Dolmetscher berufen werde und damit dann nicht mehr als Lehrer zur Verfügung stehe. Kurz und gut, die Herren haben meinem Vorschlag zugestimmt, Ihrem ältesten Sohn ein Salär von dreiunddreißig Pfund per annum als Hilfslehrer zuzugestehen. Ich weiß, Sie hatten andere Pläne, aber wären Sie unter diesen Umständen bereit, das Angebot zu akzeptieren, bis Dresden Ersatz für mich schickt?«
August fiel beinahe sein Honigbrötchen aus der Hand. » Aber ich kann ihre Sprache gar nicht«, wandte er ein. » Wie sollte ich
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