Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
Augen hingen jedoch so sehnsüchtig an Heften und Stiften, dass Dorothea stillschweigend noch einmal zu dem Laden ging und für ihren Bruder zwei Zeichenmappen und eine Packung Zeichenkohle besorgte.
Lange währte der Aufenthalt in Hamburg nicht. Niemand war darüber traurig, denn die Kabine, die der Familie zur Verfügung stand, erschien ihnen geradezu winzig. Für Lischen musste jeden Abend extra eine Hängematte zwischen die Kojen gespannt werden. » Ich hoffe, auf dem englischen Schiff geht es nicht ganz so beengt zu«, seufzte Mutter Schumann. » Allerdings habe ich gehört, dass es auf den sogenannten Auswandererdecks noch schlimmer sein soll. Also will ich mich nicht beklagen. So ist das nun einmal.«
Tatsächlich hatten sie das Glück, dass während der gesamten Überfahrt herrlichstes Frühlingswetter herrschte. Ein beständiger Nordostwind blähte die Segel und trieb sie in Rekordzeit über die Nordsee und die Themse hinauf.
Dorothea hatte einen Fluss wie die Elbe erwartet: Die Themse überraschte sie jedoch mit ihrer Quirligkeit. Noch Meilen von London entfernt, herrschte bereits ein Verkehr wie mitten im Hamburger Hafen. Lastkähne, Fischerboote und majestätisch dahingleitende Dreimaster wimmelten durcheinander. » Es scheint mir wie ein Wunder, dass nicht ständig welche zusammenstoßen«, meinte Dorothea und beobachtete interessiert, wie geschickt die wendigeren Boote sich zwischen den anderen hindurchmanövrierten. Langsam schob sich ein mächtiger, dunkler Schiffsrumpf in ihr Gesichtsfeld. » Schaut mal, das riesige Schiff dort hinten!« Gebannt starrte sie auf die imposante Erscheinung, deren Bug das schlammige Wasser durchschnitt.
» Das ist die Great Western«, erklärte August, fast genauso aufgeregt wie sie. » Da, am Bug steht der Name. Sie wurde erst vor zwei Jahren in Betrieb genommen und fährt mit Segeln und Dampf gleichzeitig– siehst du den Schornstein zwischen den Masten und die Seitenräder außen an der Bordwand? Dadurch ist sie unglaublich schnell. Ihr Rekord sind fünfzehn Tage bis New York! Schade, dass sie nur nach Amerika fährt!« Sehnsüchtig verfolgte er ihren Kurs Richtung Nordsee, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
» Fünfzehn Tage nach Amerika? Bloß zwei Wochen? Wieso brauchen wir dann so lange bis Australien? Ich weiß, die Strecke ist länger– aber so viel länger nun auch nicht.« Dorothea hatte August überredet, sie in die Bibliothek des Seminars mitzunehmen und ihr dort die geografischen Karten zu zeigen.
» Das liegt an der Topografie«, ertönte eine Stimme über ihren Köpfen. Kapitän Krüger sah, die Hände auf das Geländer des Achterdecks gestützt, zu ihnen herunter. » Nach Amerika, über den Atlantik, sind die Strömungs- und Windverhältnisse günstiger. Die Kalmenzone vor dem Äquator, in der absolute Windstille herrscht, zwingt die Schiffe zu einem Umweg bis zur Küste Südamerikas, um dort die richtigen Winde abzupassen, die sie ostwärts treiben.«
» Mit Dampfantrieb könnte man die Kalmenzone durchqueren und wäre unabhängig von den Windverhältnissen«, sagte August eifrig. » Es ist doch viel praktischer, sich aus eigener Kraft fortzubewegen. Ich denke, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis solche Schiffe auch nach Australien und Indien fahren.«
Kapitän Krüger verzog das Gesicht, als hätte er auf etwas Unangenehmes gebissen. » Ja, das fürchte ich auch. Ich hoffe nur, dass ich nicht mehr erleben muss, dass statt des Kapitäns ein Ingenieur das Sagen hat.« Er hob einen Arm und wies schräg nach vorn: » Das dort drüben, neben der schwarz gestrichenen Fregatte, ist Ihr Schiff, die Apolline. Ein guter Segler. Letztes Jahr haben sie die Reise in weniger als vier Monaten geschafft.«
Die Apolline wirkte relativ unscheinbar. Zwischen der schwarzen Fregatte und einem wuchtigen Schoner auf ihrer anderen Seite schien sie das Lob des Kapitäns nicht zu rechtfertigen. Auf diesem Boot sollten sie über endlose Meere fahren?
Sie legten ein Stück entfernt von ihr an einem freien Platz an, und der Kapitän winkte einige kräftig aussehende Schauerleute herbei. Gegen ein bescheidenes Entgelt erklärten sie sich bereit, die Reisekisten der Schumanns auf die Apolline zu schaffen.
Von Weitem mochte die Apolline unscheinbar gewirkt haben. Jetzt, da sie unmittelbar vor ihr standen, musste Dorothea den Kopf weit in den Nacken legen, um die Mastspitzen zu sehen. Die Segel waren noch gerefft, aber die turmhohen Masten und die Takelage
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