Wenn der Eukalyptus blüh dorothea1t
die älteren Kinder sich lautstark um die letzten Bonbons balgten.
» Wahrscheinlich am Fluss. Muscheln sammeln«, gab er kurz zurück. Nur wenige Momente später waren Stimmen zu vernehmen, und die Frauen des Stammes, die yammaru bis zum Bersten gefüllt mit Muscheln, erschienen zwischen den Hütten.
King George bellte einen herrischen Befehl, worauf drei von ihnen sich aus der Gruppe lösten und näher traten.
» Meine Frauen«, sagte er mit unverhülltem Besitzerstolz. Dorothea konnte ihr Entsetzen kaum verbergen. Die Mädchen hätten seine Töchter, ja Enkelinnen sein können! Die Kleinste und Schwächlichste von ihnen zitterte wie Espenlaub, ihre Zähne klapperten hörbar. Ihre dunkle Haut wirkte aschfarben vor Erschöpfung. Unter ihrer schweren Last wankte sie, stolperte, und mitsamt dem yammaru glitt auch ihr Opossumfellumhang von den Schultern. Für einen Augenblick stand sie nackt da, ehe sie sich hastig wieder bedeckte. Der Moment jedoch hatte ausgereicht, den Blick auf ihren entsetzlich entstellten Rücken freizugeben. Vom Nacken bis zur Taille verliefen die kaum vernarbten, noch immer grässlich geröteten und entzündeten Wunden, die ein perverses Muster bildeten: Schnitte von gut zwei Zentimetern Länge und mit einem Abstand von nur anderthalb Zentimetern überzogen in horizontalen Reihen den gesamten Rücken.
» Mein Gott, welcher unmenschlichen Bestie ist das arme Mädchen nur in die Hände gefallen?«, entfuhr es Dorothea. King George war ihre schockierte Reaktion nicht entgangen. Ärgerlich griff er nach seinem Speer, um damit das Mädchen wegzustoßen. Dabei bohrte sich die Spitze tief in den Oberschenkel. Ungerührt überhörte er den Schmerzensschrei, knurrte nur etwas Unfreundliches in Richtung seiner Frauen und sagte dann in schmeichlerischem Tonfall zu Robert: » Sie ist noch ganz frisch. Wenn du Gefallen an ihr findest, schicke ich sie dir hinüber. Ich will nur eine Flasche Branntwein dafür.«
Dorothea bekam kaum mit, dass Robert höflich ablehnte. Sie wollte nur noch weg hier. Dass King George, den sie bisher für einen harmlosen Säufer gehalten hatte, in Wirklichkeit so brutal und roh war, entsetzte sie zutiefst.
» Warum wurde dieses Mädchen so verstümmelt? Was hat sie getan, dass sie dermaßen grausam bestraft wurde? Diese Bestien!«
Robert fuhr ihr besänftigend über den Handrücken. » Bitte, mäßige dich. Nicht, dass sie sich beleidigt fühlen. Das war keine Bestrafung. Bei einigen Stämmen hier in der Gegend ist es üblich, dass die Mädchen, ehe sie verheiratet werden, ihren Rücken tätowieren lassen. Du kannst sicher sein: Niemand hat sie gezwungen.«
» Woher willst du das wissen?«
» Weil Moorhouse und ich darüber gesprochen haben. Er hat schon ein paar Mal eingegriffen und eine solche Operation gestoppt. Am lautesten haben dann die Betroffenen dagegen protestiert, weil sie diese Narben als Erhöhung ihrer Attraktivität sehen.«
» Das ist doch verrückt!«
Robert lächelte schwach. » Andere Länder, andere Sitten. Du kannst den Ngarrindjeri hier nicht vorschreiben, was sie schön zu finden haben. Ich persönlich finde die alltäglichen Misshandlungen schlimmer. Hast du die Narben an den Beinen der anderen Frauen gesehen? Die Männer behandeln sie schlimmer als Vieh. Beim geringsten Anlass schlagen sie sie mit ihren Waddies auf den Kopf oder stechen sie mit Speeren. Und nicht nur ein bisschen. Ich habe mich schon manches Mal geradezu geschämt, dem männlichen Geschlecht anzugehören.«
» Gibt es denn gar keine Zuneigung zwischen Mann und Frau?«, fragte Dorothea und dachte an Jane, die ihrem Tim so rührend zugetan war.
» Leider nein. Der einzige Grund für den Wunsch junger Männer nach einer Frau ist der, dass sie dann jemanden haben, der ihren Besitz schleppt, sich um Kleidung und Nahrung kümmert– kurz: ihr persönlicher Sklave ist. So wie die Männer eben, die ihre Frauen ins eiskalte Wasser zum Muscheltauchen schicken, während sie selber am Feuer hocken und es sich gut gehen lassen.«
» Kann man denn gar nichts unternehmen, um ihr Los zu verbessern?«
» Das ist schwierig. Moorhouse und die Missionare tun, was sie können. Aber es ist fast unmöglich, in kurzer Zeit etwas zu verändern, was seit Generationen so üblich gewesen ist«, gab Robert, vernünftig wie immer, zu bedenken. » Es dauert länger, eingefahrene Wege in den Köpfen zu beseitigen als Radfurchen auf einer alten Straße.«
Seit diesem Besuch hatte Dorothea es vermieden,
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