Wenn die Seele nicht mehr leiden kann - Gewalt in der Ehe (German Edition)
durch verdeckte Ermittler herauszufinden versuchten, welche Informationen über mich im kriminellen Milieu kursierten. Ob es womöglich schon Hinweise auf meinen jetzigen Aufenthaltsort gebe.
Johannes war weg und Ari war immer noch nicht da. Allmählich machte ich mir Sorgen, dass ihm etwas passiert sei. Ich rief ihn auf seinem Handy an, aber es meldete sich nur die Mailbox.
Ich musste unbedingt mit jemand sprechen, den ich kannte und dem ich vertraute. Ich brauchte ein bisschen Aufmunterung und wollte hören, dass sich alles zum Guten wenden würde.
Ich wusste, dass ich in meiner derzeitigen Lage keinesfalls das tun durfte, was ich jetzt vorhatte, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich musste meine Mutter anrufen, und ich wusste, dass ich sie in der Kirche erreichen würde. Vielleicht wurde ihr Telefon zu Hause abgehört, doch bestimmt nicht an ihrem Arbeitsplatz, wo reger Telefonverkehr herrschte. Ich war nun wieder das kleine Mädchen von früher. Ich wollte nicht mehr erwachsen und mutig sein, nicht mehr die starke Mama, der alles gelang. Ich hatte mich in einen liebeshungrigen Teenager verwandelt, der sich im Schoß seiner Mutter ausweinen und getröstet werden wollte. Ich wollte hören, wie sehr ich geliebt wurde, dass ich unendlich kostbar und etwas ganz Besonderes war. Ich wollte all die Nähe, die Liebe und Zärtlichkeit, nach der ich mich in all den Jahren gesehnt und auf die ich so lange verzichtet hatte.
„Hallo, Mama ...“, war alles, was ich herausbekam. Dann brach ich in Tränen aus und konnte mich erst mal nicht mehr beruhigen. Schluchzend brachte ich hervor: „Mama, ich liebe dich so! Ich habe mich so danach gesehnt, deine Stimme zu hören. Ich habe mich nie so einsam gefühlt. Ich kann nicht mehr ...“
Meine Mutter sprach beruhigend auf mich ein, sagte all das, was ich hören wollte und brauchte. Sie sagte, wie sehr sie mich liebe, betonte, wenn mein Herz gebrochen war, dann sei ihres in tausend Teile zersprungen, und wenn meine Augen mit Tränen gefüllt waren, seien ihre ein ganzes Meer voller Tränen. Wir redeten über alles und weinten gemeinsam. Sie schwor, dass ich mich nicht mehr einsam fühlen müsse. Von jetzt an würden wir wieder zusammenleben, und wenn wir sterben sollten, dann stürben wir gemeinsam als eine Familie.
Lange Zeit hatten wir alle Anweisungen befolgt und versucht, uns auf dem schmalen Weg zu halten, den die Polizei uns vorgab.
Doch die Beschilderung an den Weggabelungen war unklar, und die Einzigen, die uns von ganzem Herzen geholfen hatten, auf dem richtigen Weg zu bleiben, waren Ari, Johannes, Mona und die Frauen der Beratungsstelle, doch auch ihnen waren die Hände gebunden gewesen. Wo war in unserem sozialen, solidarischen Deutschland wirklich Hilfe zu finden? Wo gab es Gerechtigkeit und Unterstützung für Leute wie Mona, die sich weigerten, mit dem Strom zu schwimmen? Wer übernahm Verantwortung für den kleinen Jungen und seine junge Mutter, die Teil eines Deutschlands sein wollten, das seine Bürger schützte und Gewalt gegen Frauen nicht akzeptierte? Ich wollte spüren, dass all die großen Worte nicht nur leere Versprechen von Politikern waren, denen es ausschließlich um Wählerstimmen ging.
Eines steht für mich fest. Ohne meine Familie und meine Freunde wäre ich heute psychisch am Ende, falls ich überhaupt noch leben würde. Irgendwann muss sich auch der Stärkste - und ich kann stark sein, wie tausend Ochsen - ausruhen und neue Kraft schöpfen.
Zuletzt sagte meine Mutter, dass wir nur für einen kurzen Moment hier auf Erden seien und daher so leben müssten, als sei jeder Tag unser Letzter. Wir müssten zusammenstehen und den Tigern und Löwen die Stirn bieten, die nach unserem Blut dürsteten. Ich spürte, wie eine große Ruhe über mich kam. Meine Mutter war als Predigerin in vielen vergessenen Winkeln der Welt gewesen und dabei zahlreichen Menschen begegnet, die ihre Visionen teilten. Daher meinte sie nun auch jemand finden zu können, der bereit war, mir uneigennützig zu helfen. Wir verzichteten also auf die Hilfe der Polizei und stellten uns einmal mehr einer schier unlösbaren Aufgabe.
Dann ging alles sehr schnell. Meine Mutter fand eine Familie am Stadtrand von München, bei der wir uns bis auf Weiteres verstecken konnten. Sie wollte versuchen, einen Kredit aufzunehmen, um die ersten beiden Monatsmieten für die Wohnung zu bezahlen. Ich hoffte ja, dass sich alles so weit beruhigen würde, dass ich in Taufkirchen wohnen bleiben
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