Wenn die Wahrheit nicht ruht
Seitenhieb.
„Ich glaube, du verschwindest jetzt besser wieder aus der Küche . I ch rufe euch, wenn das Essen fertig ist.“ Timo kniff Angela in den Hintern, tat aber wie geheissen. Als er weg war, zuckte Angela entschuldigend mit den Schultern. „Deine Haarfarbe. Wir waren uns nicht einig, wie man sie nennen kann.“
Jetzt konnte Leonie nicht mehr an sich halten und prustete laut los.
„Was ist denn hier los?“
Angela, die in das Gelächter mit eingestimmt hatte, war das Eintreten des neuen Besuchers in die Küche genauso wenig aufgefallen wie Leonie, weshalb beide Frauen erschrocken zusammenzuckt en, als sie angesprochen wurden . „Sebastian! Du hast mich zu Tode erschreckt!“
Sebastians Blick ruhte auf Leonie. Seine Mi e ne wirkte verschlossen und liess keine Rückschlüsse auf seine Gedanken zu, dennoch begannen Leonies Handflächen zu kribbeln. Wie lange sie seinem Blick noch hätte standhalten können, wusste sie nicht, daher war sie froh, wandte er sich als erster von ihr ab und seiner Gastgeberin zu. „ Und d u hast mir offenbar vergessen zu sagen, d ass wir Gäste haben. “
„Nein, nicht vergessen. Das ist spontan so entstanden. Hol dir ein Bier und unterhalte dich ein wenig mit Timo. Der hat nämlich Küchenverbot gekriegt.“
„Timo ist mir über den Weg gelaufen, ich werde mich hüten, zu ihm zu gehen.“ Ein verschwörerisches Lächeln breitete sich auf Sebastians Gesicht aus. Angela beobachtete ihn skeptisch, während sie ihm ein Bier aus dem Kühlschrank holte und auf die Theke stellte.
„Will ich es wissen?“
„Nein.“ Als wäre dies das Codewort gewesen , stürmten auf einmal mit lautem Geschrei drei wild gewordene Piraten die Küche. Mit Plastikschwertern nahmen sie ihre Gefangenen, darunter auch Leonie , und zwangen sie, sich zu ergeben. Da Leonie aber das echte Messer nach wie vor in den Händen hielt, liess ihr Kidnapper schnell von ihr ab und flüchtete, aber nicht ohne Kriegsgeschrei. Als die anderen sahen, weshalb ihr Partner die Flucht ergriffen hatte, stellte sich der jüngere der beiden wagemutig vor Leonie hin. „Leg das Messer weg oder du wirst bluten.“
„Um Himmels willen! Tu mir nichts!“ Gehorsam und mit weit aufgerissenen Augen legte Leonie langsam das Messer auf die Theke. Sebastian sah sich das Schauspiel amüsiert an, während Angela bereits unter dem Stockholm-Syndrom zu leiden schien, denn sie wehrte sich mit einem wilden Knutschangriff.
„Nun, ich glaube, ich muss mich wohl opfern, denn meine Leidensgenossin ist irgendwie keine grosse Hilfe.“
„Das kann ich nicht zulassen! Ich rette dich , oh holde Maid!“ Überrascht sah Leonie zu, wie Sebastian um die Theke herum kam, schnurstracks den Jungen schnappte, über die Schulter legte, um ihn auf dem Teppich im Esszimmer auf den Rücken zu legen und wild auszukitzeln. Der Junge kreischte vor Freude und versuchte sich vergeblich mit der gleichen Kitzelattacke zur W ehr zu setzen.
„So , Schluss jetzt. An den Tisch mit euch allen!“ Schweren Herzens hatte sich Angela von Timo getrennt. Leonie hatte sich seit ihrer Befreiung nicht mehr gerührt, sie stand einfach lächelnd gegen die Küchenkombination gelehnt da und schaute dem Treiben zu.
Genauso wie alle anderen zuckte sie bei Angelas Machtwort zusammen und setzte sich gehorsam in Richtung des Esstischs in Bewegung. Nicht aber, ohne den Gurkensalat unter den Arm zu klemmen. Als dann endlich alle Platz genommen hatten und Angela den St artschuss zum Essenfassen gab, ging der Radau von N euem los, bis es dann so still wurde, dass man nur noch das Klimpern des Bestecks auf den Tellern und dann und wann ein schmerzhaft kratzendes Geräusch bei der Berührung des Meta l ls mit dem Porzellan hören konnte. Nachdem dann der erste Hunger gestillt war, schien wieder Platz für ein Gespräch zu sein. Die Kinder erzählten, was sie erlebt hatten, Timo gab den einen oder anderen Fall zum Besten, zu Leonies Erstaunen berichtete selbst Sebastian lebhaft von einigen Skischülern, aber Leonies Sturz erwähnte er mit keiner Silbe. Ganz Alltägliches wurde auf einmal unheimlich wichtig, alles was gesagt wurde, bedachte man mit einem ernsten Kopfn icken oder ehrlichem Gelächter.
Leonie kam sich vor, als würde sie sich im Fernseher einen Heimatfilm ansehen. Ein nie gekanntes Gefühl, das sie weder definieren , geschweige denn benennen konnte, beschlich sie. Einerseits machte es ihr A ngst, andererseits genoss sie die Situation wie schon lange nichts mehr. Sie
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