Wenn die Wahrheit nicht ruht
du sagst, dann hat er nichts zu befürchten. Also kannst du uns seinen Aufenthaltsort mit gutem Gewissen anvertrauen . Erfahren werden wir ihn früher oder später sowieso. “ Siegessicher baute sich Jan breitbeinig, mit in die Seiten gestemmten Armen , vor Alina auf.
Neugierig darüber, was ihren Mann so sicher machte, dass er den Aufenthaltsort von Ambros erfahren würde, sah sich Alina um. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Mann , der auch die Nachricht von dem angesägten Stahlseil überbracht hatte, tatsächlich nicht mehr da war. Mit Panik erfüllt sah sie flehend zu ihrem Vater. „Bitte nicht…“
„Sag uns wo er ist , dann können wi r vielleicht etwas für ihn tun. Ansonsten kann ich für nichts garantieren.“
Tief im I nnern wusste Alina , dass sie Ambros auf keinen Fall ziehen lassen würden, egal ob er die Seile manipuliert hat te oder nicht. Dennoch flüsterte ihr eine leise Stimme immer wieder zu: Was , wenn doch?
„Also, was ist?“ Ihr Mann wurde langsam ungeduldig. Aus eigener Erfahrung wusste, sie wie gefährlich das sein konnte. Er hatte zwar nie Hand an sie gelegt - dazu war er in sein er ganzen Dummheit doch zu klug - aber sie hatte schon einige Male mitansehen müssen, wie er jemanden verprügelte, nur, weil ihm etwas nicht schnell genug gegangen war. Also fasste sie einen Entschluss. „Er ist in St. Niklaus .“
„Ach ja? Ist er das? Ich frage mich, wie er nach der gestrigen Nacht noch dorthin zurückgekommen sein soll. Der war sturzhageldicht.“
„Wenn er so betrunken war, wie hätte er dann die Seile manipulieren sollen, ohne sich zu verletzen und ohne entdeckt zu werden?“ Woher sie die Kraft nahm, sich gegen ihren Vater und Jan zu stellen, war ihr nicht ganz klar. Doch trat sie sogar noch einen Schritt auf Hans zu und funkelte ihn herausfordernd an.
„ Soso, wir haben also wirklich gelauscht, nicht wahr? Pass auf, dass du dich nicht zu weit aus dem Fenster lehnst, nicht, dass du noch fällst. “ Bedrohlich leise sprach Hans die Worte aus , bevor er Jan ein Zeichen gab.
„Nimm sie mit, aber halte nur ihre Hand um sie in Schach zu halten. Wir dürfen keine Aufmerksamkeit erregen.“
Dieser Kommentar war eigentlich überflüssig. Überall , wo Hans auftauchte, erregte er Aufmerksamkeit. Aber seine autoritäre Ausstrahlung sorgte meist dafür, dass ihn niemand direkt anzusprechen wagte.
Alina spielte das Spiel nur widerwillig mit. Ihrer Meinung nach kamen sie zu schnell vorwärts. Es war ihr auch egal, was die Leute dacht en. Aber sie wollte sicherstell en, dass Ambros heil davon gekommen war, also hielt sie sich an die Rolle des lieben Frauchens. Vorerst zumindest.
Ambros zog die Tür auf und trat in den Korridor, als auf einmal ein Tumult losbrach. Der Lärm schien von der Rezeption zu kommen und gründlich für Aufregung zu sorgen. Endlich, dachte Ambros bei sich und setzte seinen Weg beschwingt fort. Bevor sie wussten, wo er sich aufhielt, würde er schon lange über alle Berge sein. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Dennoch zügelte er sein Tempo, als er auf dem untersten Treppenabsatz ankam. Etwas gemächlicher trottete er an die Rezeption. Erstaunt stellte er fest, dass sie nicht besetzt war. Kurz überlegte er sich, dass dieser Umstand nicht einmal so übel war. Zwar hätte er gerne darüber geplaudert, was gerade eben für solchen Aufruhr gesorgt hatte, kam dann aber zum Schluss, dass die in dem Raum herrschende Menschenleere seinen Abgang eigentlich nur erleichterte. Also steuerte er leichthin auf die Theke zu und deponierte seinen Schüssel. Gerade , als der Anhänger das hochglanzpolierte Holz berührte, flog die Tür zum Speisesaal auf und prallte mit einem lauten Knall an die Wand.
Erschrocken liess Ambros vo n dem Schlüssel ab und sah auf. In dem Augenblick, als sich die Blicke trafen, waren beide Männer mindestens gleichermassen überrascht den anderen zu sehen. Vom Erkennen bis zum Reagieren bedurfte es n ur den Bruchteil einer Sekunde. Ambros wandte sich ab und rannte los.
Zur selben Zeit wurde Alina immer nervöser. Eigentlich hatte sie gehofft, ihr Vater würde einen anderen Weg einschlagen, doch diesen Gefallen tat er ihr nicht. Schnellstmöglich wollte sie an den Häusern, die sie jetzt erreichten , vorbeigehen. Doch m it aller Kraft unterdrückte sie den Drang, ihren Schritt zu beschleunigen.
Und dann geschah, was sie hatte vermeiden wollen. Aus dem Augenwinkel nahm sie erst eine schnelle Bewegung wahr. Instinktiv wandte sie den Kopf in
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