Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
etwas im Fluss gesehen. Ich war abgelenkt, und als ich den Blick wieder auf die Straße richtete, kam etwas auf mich zugeschossen – vielleicht ein Reh oder ein Rotluchs. Es sah so schwarz aus, dass ich mir nicht sicher sein konnte. Ich habe den Wagen herumgerissen, um ihm auszuweichen, und dann geriet mein Auto auf der Brücke ins Schleudern. Ich muss mir den Kopf am Lenkrad angeschlagen haben, denn ich kann mich von dem Punkt an wirklich an nichts mehr von dem Unfall erinnern. Gott sei Dank hatte ich die Fenster heruntergekurbelt. So muss ich wohl aus dem Auto herausgekommen sein, bevor ich mit ihm untergehen konnte.«
» Und deine Freunde waren so schnell da, weil …?«
Er zuckte verlegen mit den Schultern. » Weil ich … ähm … das Bier im Auto hatte.«
Als er ausgesprochen hatte, atmete ich langsam aus. Ich war dankbar, dass wenigstens eine meiner Theorien bezüglich unseres Kontakts falsch war: Selbstmord war nicht unsere Gemeinsamkeit, es war unser gemeinsamer Tod, so kurz seiner auch gewährt haben mochte.
» Wäre es seltsam, Joshua, wenn ich sagen würde, dass ich froh bin?«
» Warum denn? Weil ich Bier mag?«
Ich lächelte matt. » Nein, weil du nicht von der Brücke fahren wolltest.«
Er lachte. » Dann ist es überhaupt nicht seltsam. Ich würde die High Bridge nicht gerade für meinen Abgang auswählen, weißt du?«
Ich rang nach Atem.
Angesichts meiner eigenartigen Reaktion sprach er rasch, beinahe entschuldigend. » Tut mir leid. Ich bin … Sieh mal, ich weiß selbst nicht, was ich da rede. Ich will dich nicht aus der Fassung bringen oder so. Ich schätze mal … ich meine … du musst das hier wirklich nicht machen. Mir etwas erzählen, meine ich.«
» Muss ich sehr wohl.« Es gelang mir nicht, die Seelenqualen aus meiner Stimme herauszuhalten. » Ich glaube nicht wirklich, dass mir eine andere Wahl bleibt, wenn ich je wieder mit dir reden möchte. Immer vorausgesetzt, dass du anschließend überhaupt noch mit mir reden willst.«
» Warum sollte ich denn nicht mit dir reden wollen?«
Aufgrund seines sanften Tonfalls und des tieferen Sinns seiner Worte erwiderte ich seinen Blick. Als ich ihm in die seltsamen blauen Augen sah, spürte ich, wie jener leichte Schmerz wieder in meiner Brust aufflammte.
» Du wirst nicht mit mir reden wollen, weil ich dir die Wahrheit sagen werde.«
» Und die Wahrheit wird dazu führen, dass ich … was? Beschließe, mich von dir fernzuhalten?« Er grinste und hob eine Augenbraue, offensichtlich ungläubig.
» Etwas in der Richtung«, murmelte ich.
» Es fällt mir schwer, das zu glauben.« Er unterbrach kurzzeitig unseren Blickkontakt und kam zu der Bank herüber, um sich endlich neben mich zu setzen.
» Wahrscheinlich wird es dir auch schwerfallen zu glauben, was ich dir gleich erzählen werde. Aber es ist die Wahrheit.«
Er faltete die Hände und beugte sich näher zu mir, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Dann hob er wieder den Blick und sah mir in die Augen.
» Gut. Ich möchte die Wahrheit hören, Amelia.«
Unbegreiflicherweise beschleunigte sich mein Atem. Ein Puls, von dem ich wusste, dass ich ihn gar nicht hatte, war in meinen Armen und meinem Hals zu spüren. Ich hätte schwören können, dass ich eine Hitze aufgrund der Nähe seines Körpers verspürte – eine Hitze, die eine Röte auf meinen Wangen zu bewirken drohte, obwohl meine Wangen doch gar nicht erröten konnten. Die Art Hitze, die mich dazu bringen könnte, so gut wie alles zu tun oder zu sagen, und Worte sprudelten aus meinem Mund, beinahe noch bevor ich sie gedacht hatte.
» Du hast doch gesagt, dass du mich unter Wasser gesehen hast, stimmt’s?«
» Ja.«
» Und du warst der einzige Mensch, der mich überhaupt gesehen hat?«
» Ja.« Seine Stimme blieb geduldig, gelassen. Meine Stimme hingegen bebte, als ich weitersprach.
» Tja, ich glaube, du hast mich gesehen, weil … na ja, weil du tot warst.«
Er runzelte wieder die Stirn. » Ich weiß, dass ich tot war, wenigstens ein paar Sekunden lang. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dir so ganz folgen kann.«
» Du konntest mich anfangs nicht sehen, stimmt’s? Erst als du … gestorben bist.«
Je weiter ich sprach, desto weniger konnte ich atmen. Joshua schien Schwierigkeiten zu haben zu verstehen, worauf ich hinauswollte. Er reagierte langsam, überlegt, als müsse er sich in diesem Gespräch fest an seinen Verstand klammern.
» Amelia, ich konnte dich nicht sehen, weil ich bewusstlos war, bevor mein Herz
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