Wenn es Nacht wird in Miami
ihren Minivan, da sich darin der Kindersitz für Rhett befand.
Mitch setzte sich auf den Beifahrersitz und nutzte die Fahrt zum Nachdenken, nachdem er ihr kurz den Weg zum Jachtclub erklärt hatte, wo sie essen wollten. Wenn Carly wirklich so unangreifbar war, wie Frank Lewis gesagt hatte, musste er sich etwas Neues ausdenken. Als Erstes musste sie die Vorbehalte gegen ihn ablegen. Wie konnte er ihr Vertrauen gewinnen? Vielleicht, indem er sie verführte? Mitchs Puls ging rascher, als er sich diese Möglichkeit genauer ausmalte. Das hieße in der Tat, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Wieder warf er verstohlen einen Blick auf ihre langen Beine und dachte an den Kuss im Flur vor dem Kinderzimmer.
Wie weit würde er gehen? So weit er gehen musste, gab er sich selbst die Antwort. Es ging um sein Erbe und um das von Rand und Nadia. Es stand so viel auf dem Spiel, da durfte man nicht zimperlich sein. Mitch schämte sich ein bisschen für diese Gedanken. Aber hat Carlys saubere Zwillingsschwester etwa Skrupel gehabt?, dachte er und versuchte, damit sein Gewissen zu beruhigen.
Vielleicht würde er sogar so weit gehen, Carly zu heiraten, wenn es ihm das Sorgerecht einbrachte. Es musste ja nicht für die Ewigkeit sein. Man konnte sich scheiden lassen. Er bekäme das Kind und Carly eine hübsche Summe auf ihr Bankkonto, und sie hätten beide etwas davon.
5. KAPITEL
Einer Frau den Hof zu machen, gegen die man so viele Vorbehalte hatte, war eine neue Erfahrung – selbst für Mitch. Nun war Carly nicht die Frau, die man mit einem einfallslosen Blumenstrauß oder x-beliebigen Schmuckstück beeindrucken konnte. Glücklicherweise wusste Marie, Mitchs Sekretärin, Rat.
So kam es, dass Mitch und Carlos, Hausverwalter und Gärtner von Kincaid Manor, jeder einen Handwagen ziehend, auf dem ein großer Strauch mit Wurzelballen lag, auf die Terrasse zugingen. Auf dem Rasen saßen Carly und Rhett, der mit einem neuen Spielzeug beschäftigt war. Carly sah auf, bemerkte Mitch und sagte etwas zu Rhett, der daraufhin freudestrahlend auf Mitch zulief.
Das freudige Strahlen in diesem Kindergesicht erweckte in Mitch jedes Mal zwiespältige Gefühle. Natürlich konnte er sich dem Charme des kleinen Burschen nicht entziehen. Trotzdem musste er immer an Zeiten denken, in denen er es noch eilig hatte, aus dem Büro nach Hause zu kommen, und nicht erst Feierabend machte, wenn die Putzkolonne ihn von seinem Schreibtisch vertrieb. Er dachte an das Kinderlachen, das früher die Zimmer von Kincaid Manor erfüllt hatte, bis es dieser Frau plötzlich eingefallen war, dem Vater der beiden Kinder an die Westküste zu folgen, einem Basketball-Profi, der von den Miami Heat an die LA Lakers verkauft worden war.
„Na, kleiner Mann“, begrüßte Mitch seinen Halbbruder, woraufhin dieser Mitchs rechtes Hosenbein umarmte. Carly kam hinterher. Sie trug ihr Haar an diesem Tag offen, sodass es in weichen Wellen auf ihre Schultern fiel. Eine sanfte Brise blies es ihr aus dem Gesicht. Zum ersten Mal fiel Mitch auf, dass sie keine Ohrringe trug und auch keine Löcher in den Ohrläppchen hatte. Irgendwie fand er in diesem Augenblick gerade das an ihr äußerst anziehend.
Carly begrüßte Carlos mit einem Nicken und zeigte auf die beiden Handwagen. „Was habt ihr denn da?“
„Nennt sich, glaube ich, Schmetterlingsbaum“, antwortete Mitch.
„Ja, oder Sommerflieder, ich weiß. Ich habe selbst welchen im Garten. Ich wollte auch nicht wissen, was es ist, sondern, was du damit vorhast.“
„Sie sollen die Kolibris anlocken, die Rhett so mag. Die beiden neuen Vogelhäuschen allein scheinen es nicht zu bringen.“
Rhett fühlte sich offenbar angesprochen. „Arm! Arm!“, forderte er lautstark. Mitch nahm ihn hoch, und sofort schlang der Kleine ihm die Arme um den Hals. „Mitt!“, verkündete er mit Besitzerstolz.
Mitch wurde es jetzt doch ein wenig zu viel, und er reichte Carly das Kind zurück. Schnell wandte er sich an den Verwalter. „Carlos, ich würde die beiden Sträucher gern an den Ecken der Terrasse haben.“
Carly ließ sich nicht beirren. „Warum überschlägst du dich plötzlich so vor Freundlichkeit? Heute der Sommerflieder, gestern war es die Spielzeugeisenbahn, vorgestern das aufblasbare Planschbecken. Wieso muss ich die ganze Zeit an die Geschichte mit dem Trojanischen Pferd denken?“
„Denk lieber daran, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul guckt.“
„Es gibt aber auch Gäule, die vorn beißen und nach hinten
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