Wenn es Nacht wird in Miami
gefunden.
Ihren Abschluss an der Highschool hatte Carly mit neunzehn gemacht. Die meisten machten den mit siebzehn oder achtzehn Jahren. Hatte Carly ein Jahr wiederholt? So etwas kam vor. Außerdem fiel ihm auf, dass sie eine langfristige Beziehung mit einem Jungen hatte, den sie schon auf dem College kennengelernt hatte. Ihr Verlobter, von dem sie sich erst kürzlich getrennt hatte, war jedoch ein anderer. Alles nicht sonderlich ergiebig, aber dafür hatte er ja Frank.
Es klopfte an der Tür. Mitch ließ das Fax in einer Schublade verschwinden. „Ja?“
Es war Carly, die hereinkam. Sie hatte Rhett auf dem Arm.
„Mitt! Mitt!“, rief Rhett, als er Mitch sah.
„Hallo, Kleiner“, erwiderte der die freudige Begrüßung etwas halbherzig.
Carly kam ein paar Schritte näher. „Della hat sich gemeldet. Sie braucht noch einen Tag länger. Ich kümmere mich um das Essen. Wenn es dir recht ist, ist es in einer Stunde fertig.“
„Jetzt fehlt sie schon drei Tage!“, murmelte Mitch.
„Nun reg dich nicht auf. Sie macht keinen Erholungsurlaub. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich so viel Zeit nehmen, wie sie braucht.“
Mitch knirschte mit den Zähnen. Es passte ihm gar nicht, dass Carly anfing, im Haus die Entscheidungen zu treffen. Trotzdem hielt er es für unsinnig, deswegen jetzt eine Debatte anzufangen. „Dann gehen wir auswärts essen“, entschied er.
Carly war von seinem Vorschlag nicht sehr begeistert, und das wiederum besserte Mitchs Laune nicht. Er war es nicht gewohnt, von einer Frau einen Korb zu bekommen. „Ich weiß nicht. Ich habe ihn gerade von seiner Tagesmutter geholt. Sie meinte, er sei ein bisschen quengelig heute, weil er zahnt. Da möchte ich ihn lieber nicht einem Babysitter überlassen.“
„Dann kommt er eben mit.“
„In ein Restaurant? Du weißt doch, wie er isst, unser kleiner Dreckspatz. Und wenn er dann noch ungnädig wird …“
Die Vorstellung konnte einem in der Tat Angst machen. Dennoch meinte Mitch: „Wir müssen irgendetwas essen. Du hast den ganzen Tag gearbeitet und solltest dich jetzt nicht noch an den Herd stellen.“
Carly schien immer noch zu zögern. Dann sagte sie: „Na schön. Wir brauchen zehn Minuten, um uns startklar zu machen. Wenn du einen Tisch bestellst, frag lieber, ob Kinder willkommen sind. Und ob sie einen Hochstuhl haben.“
Damit ging sie hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Mitch blieb nachdenklich am Schreibtisch zurück, stützte die Ellenbogen auf und legte die Fingerspitzen aneinander. Er hatte an diesem Tag mit Richards gesprochen, der sich Marlenes Testament angesehen hatte. An dessen Gültigkeit konnte kein Zweifel bestehen. Es war formal in Ordnung und trug die Unterschriften von zwei Bankangestellten, die als Zeugen fungiert hatten. Das Dokument hatte folgenden Wortlaut:
Ich, Unterzeichnete, vermache im Falle meines Ablebens alles, was mir gehört, meiner Schwester Carlene Leah Corbin. Insbesondere soll sie für meinen geliebten Sohn Rhett sorgen, wenn ich einmal nicht mehr bin. Sie wird ihm eine bessere Mutter sein, als ich es je sein könnte.
Das Ganze war zudem notariell beglaubigt. Merkwürdig, dass eine Frau in so jungen Jahren schon peinlich darauf bedacht ist, ihren Nachlass geregelt zu wissen, dachte Mitch. Oder hatte sie Angst um ihr Leben gehabt? Hatte sie sich vielleicht vor Everett gefürchtet?
Mitch hatte seinen Vater noch nie dermaßen in Rage erlebt wie an jenem Tag im Januar, als Marlene Corbin nach Kincaid Manor gekommen war, um ihrem acht Monate alten Sohn seinen Vater vorzustellen. Den ganzen Februar hindurch hielt Everetts Zorn unvermindert an, während er ungeduldig auf das Ergebnis der DNA-Analyse wartete. Am ersten März schließlich kam es zu dem Unfall, der Marlene das Leben kostete. „Wie das Leben so spielt“, war Everetts einziger Kommentar dazu gewesen.
Mitch hatte ein mulmiges Gefühl. Sollte sein Vater wirklich in diesen Unfall verwickelt sein? Bald würde er mehr wissen. Dann war immer noch Zeit zu überlegen, was zu tun war. Die Möglichkeit, Marlenes Testament anzufechten, fiel jedenfalls aus. Das Dokument war nicht anfechtbar.
Wie angekündigt erschien Carly pünktlich nach zehn Minuten wieder in der Bibliothek. Sie trug einen kurzen, engen Rock und ein ärmelloses, figurbetontes Oberteil, was Mitch die Grübeleien fürs Erste vergessen ließ.
Vor dem Haus hatten sie einen kurzen Disput darüber, welchen Wagen sie nehmen sollten. Carly hatte schließlich das bessere Argument für sich und
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