Wenn es Nacht wird in Miami
ihr Rhett wegzunehmen? Carly fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Und …?“
Mitch warf einen flüchtigen Blick auf das freundlich lächelnde Baby mit seinem feinen dunklen Haar. „Ich bin gekommen, um … um meinen Bruder kennenzulernen. Ist er das?“
„Deinen Halbbruder“, korrigierte Carly. „Ja, das ist er. Das ist Rhett.“
„Er sieht tatsächlich aus wie ein Kincaid“, bemerkte Mitch.
„Was dachten Sie denn? Glauben Sie, meine Schwester hat sich das mit Ihrem Vater nur ausgedacht?“
„Sicher nicht. Dazu ist die DNA-Analyse zu eindeutig.“ Mitch klang alles andere als begeistert. „Darf ich reinkommen?“
Carly kaufte ihm nicht ab, dass er einfach nur einen nahen Verwandten kennenlernen wollte. Bis jetzt hatte er den Kleinen nicht einmal richtig angesehen. „Vielleicht ein andermal. Jetzt passt es schlecht. Ich muss Rhett füttern, baden und ins Bett bringen.“
„Es geht um seine Erbschaft.“
Erbschaft? Carly stutzte. Marlenes Hinterlassenschaft konnte er nicht meinen. Es gab keine. Plötzlich fiel Carly wieder ein, dass auch Rhetts Vater, Everett Kincaid, kurz zuvor gestorben war. Es hatte in allen Zeitungen gestanden. „Hat Ihr Vater Rhett etwas hinterlassen?“, fragte sie vorsichtig.
Die schönen, sinnlichen Lippen des Besuchers wurden schmal. „Unter gewissen Bedingungen … ja.“
Rhett meldete sich aus seiner Kinderkarre und streckte die Ärmchen vor. Er wollte hochgehoben werden.
Carly löste die Sicherheitsgurte und nahm ihn auf den Arm. Wie immer, wenn sie das tat, genoss sie den süßen Duft seiner Babyhaut. Sie drückte Rhett fest an sich. „Unter was für Bedingungen?“, fragte sie misstrauisch.
„Können wir das nicht drinnen bereden? Sie können den Jungen meinetwegen währenddessen füttern. Mir macht das nichts aus.“
„Ihnen vielleicht nicht, aber Ihrem teuren Anzug. Rhetts Geschosse beim Essen haben eine ziemliche Reichweite.“
Carly ärgerte es, dass Mitch von Rhett immer nur als „der Junge“ sprach, als hätte Rhett keinen Namen. Fragen stürmten auf sie ein. Wenn dieser Mann ein so naher Verwandter war, konnte sie ihn nicht einfach zum Teufel jagen, wie sie es am liebsten täte. Es wäre nicht fair gegenüber Rhett, ihm eine Familie vorzuenthalten, die ihn finanziell besser versorgen würde, als Carly es je könnte. Zurzeit konnte sie nicht einmal etwas für seine Ausbildung zurücklegen.
Carly stieg die drei Stufen zur Veranda hinauf, ging zur Haustür und schloss auf. Sie hatte kein gutes Gefühl dabei, diesen ungebetenen Gast in ihr Haus zu lassen.
„Ich würde Ihnen raten, wenigstens das Jackett auszuziehen, während Rhett isst“, sagte sie, nachdem sie mit Mitch in die Küche gegangen war und den Kleinen in seinen Hochstuhl gesetzt hatte. Mitch legte die Jacke ab, aber schon im selben Augenblick bereute Carly ihren Rat. Davon, wie gut dieser Mann gebaut war, hatte Marlene ihr nichts erzählt. Als Physiotherapeutin war Carly gewissermaßen Expertin für männliche Anatomie. Sie hatte beruflich häufig mit durchtrainierten Sportlern zu tun. Und das hier war ohne Frage ein Prachtexemplar.
Carly holte zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Küchentresen. Sie nahm eine der Flaschen, schraubte sie auf und deutete dabei, zu Mitch gewandt, auf die andere. Durstig von ihrer abendlichen Joggingrunde nahm sie selbst einen tiefen Schluck.
Dann begann sie, eine bereitgelegte Banane, Weintrauben und ein Stück Käse in für Rhett mundgerechte Würfel zu schneiden. „Nun reden Sie schon“, forderte sie Mitch auf.
Der drehte die ungeöffnete Flasche unschlüssig in den Händen. „Dem Jungen steht ein Viertel des Erbes meines Vaters zu.“
Carly wäre beinahe das Messer aus der Hand gefallen. In der Zeitung hatte sie von Everett Kincaids unermesslichem Reichtum gelesen. „Sie wollen mich auf den Arm nehmen“, sagte sie, während sie sich darauf konzentrierte, sich nicht in die Finger zu schneiden.
„Keineswegs.“ Mitchs Antwort klang fast beleidigt.
„Und weiter?“, fragte sie. Wenn sich Everett Kincaid so um sein uneheliches Kind sorgte, war er vielleicht doch nicht der verschrobene Knauser, als den Marlene ihn immer beschrieben hatte.
„Die Bedingung, von der ich sprach, ist folgende: Das Kind muss für das nächste Jahr auf Kincaid Manor, unserem Familiensitz, wohnen.“
Carly brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriffen hatte, was das hieß. Dann drehte sie sich mit einem Ruck um. „Sie
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