Wenn es Nacht wird in Miami
„Was? Rhett ist einer von den Kincaids? Die schwimmen doch in Geld.“
Carly nickte. „Ich habe es dir vor Marlenes Tod nicht erzählt, weil sie mich darum gebeten hatte, niemandem etwas davon zu sagen. Jedenfalls ist es jetzt so, dass Everetts Testament bestimmt, dass Rhett wenigstens das erste Jahr in Kincaid Manor aufwachsen soll, sonst werden alle Kinder enterbt, Rhett auch. Darum“, Carly blickte sich um, um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand zuhörte, „wohne ich jetzt auch in Kincaid Manor.“
„Ach, deshalb hast du mit deiner neuen Adresse so geheimnisvoll getan.“
„Ich werde in nächster Zeit auf jeden Fall nicht zum Müttertreffen einladen. Davon kannst du ausgehen.“
„Hat Mitch dich darum gebeten, bei ihm zu wohnen?“, fragte Tina.
Carly verzog das Gesicht. „So kann man es nicht gerade nennen. Ihm ging es vor allem darum, Rhett zu bekommen.“
„Wollte er ihn dir wegnehmen?“
„Er hat mir Geld geboten – sehr viel Geld, damit ich Rhett aufgebe.“
„So ein Sauhund!“ Tina schlug sich mit der Hand auf den Mund und vergewisserte sich ängstlich, dass keines der Kinder das Wort aufgeschnappt hatte.
„Neuerdings kehrt er allerdings den Charmeur heraus.“
„Ach, tut er das? Macht er dir etwa den Hof?“
„Ich weiß auch nicht. Zu Anfang ganz sicher nicht, aber in letzter Zeit …“ Carly dachte mit einem Kribbeln im Bauch an die Küsse während des Feuerwerks.
Tina sah ihre Freundin nachdenklich an. „Willst du ihm nicht eine Chance geben?“ Carly holte Luft, um zu protestieren, aber Tina fuhr fort. „Wenn ich die Blicke sehe, die er dir zuwirft – Junge, Junge. Das sollte mir mal passieren.“
„Tina, hör auf damit.“
„Du wärst doch auch nicht abgeneigt, gib es zu.“
„Eine Affäre mit Mitch Kincaid? Das wäre das Letzte, was ich gebrauchen kann.“
„Komm schon, Carly. Die Frau, die auf einen Mann nicht anspringt, ist tot. Ich würde ihn jedenfalls nicht von der Bettkante schubsen.“
„Lass das deinen Mann nicht hören.“
Tina betrachtete scheinbar unbeteiligt ihre Fingernägel. „Warum lässt du die Dinge nicht einfach auf dich zukommen? Irgendwann wirst du sehen, ob Mr. Kincaid nur Rhett will oder vielleicht doch mehr. Du kannst ja wenigstens ein bisschen von dem Leckerbissen naschen, den du direkt vor der Nase hast. Wenn sich nichts weiter daraus ergibt – na schön, dann ziehst du nach einem Jahr wieder aus, und das war’s dann. Oder du hast es geschafft und dir einen der reichsten Männer Miamis geangelt.“
„Eine feine Freundin bist du. Gibst mir Ratschläge, die mich geradewegs ins Verderben stürzen.“
Tina nahm Carlys Hände und sah ihr in die Augen. „Nein, meine Liebe. Ich bin deine Freundin und will nur, dass du mal wieder ein bisschen Spaß hast. Du hast viel durchmachen müssen – das ist wahr. Erst Sam und dann der Verlust deiner Schwester. Aber heute erlebe ich das erste Mal seit Monaten, dass du dich für etwas anderes begeistern kannst als für Rhett. Also: Lass dir diese Gelegenheit nicht entgehen.“
Carly zuckte seufzend mit den Schultern. „Tina, ich weiß wirklich nicht, ob ich auf dich hören sollte.“
„Du hattest die Kinder ja toll im Griff“, meinte Carly, als sie zusammen mit Mitch das Wohnzimmer von Kincaid Manor betrat.
„Alles eine Frage der Übung. Ich habe früher die meisten meiner Semesterferien mit der Kinderbetreuung auf den Schiffen der KCL verbracht. Einen Drink?“
„Ein Glas von Dellas selbst gemachter Limonade wäre nicht schlecht.“
Mitch ging zur Bar, schenkte ein und reichte ihr das Glas.
Sie stellte das Babyfon auf den Couchtisch und ließ sich in den tiefen Polstern des Sofas nieder. Ich sollte lieber einen Kaffee trinken, dachte sie. Die schlaflose Nacht forderte ihren Tribut.
Anstatt sich in den Ohrensessel zu setzen, der sonst sein Platz war, kam er zu Carly aufs Sofa. Er saß so nah, dass sie spürte, wie aufgeheizt er noch vom Toben mit den Kindern war. Sie konnte sein Aftershave riechen, und in diesen Duft hinein mischte sich der Geruch seiner Haut. Carly hatte die Worte von Tina noch im Ohr. Seine nackten, braun gebrannten Beine, die an diesem Tag in Shorts steckten, berührten sie mit ihren dunklen, drahtigen Härchen. Zu gerne hätte sie näher erforscht, wie sich diese Beine unter ihren Händen anfühlten. Stattdessen hielt sie sich an ihrem Glas mit der kalten Limonade fest und versuchte, an etwas anderes zu denken.
Nach einer langen Pause sagte Carly: „Ich
Weitere Kostenlose Bücher