Wenn es Nacht wird in Miami
Hochzeit so viele Termine absagen. Vielleicht ist es auch ganz gut, wenn ich heute beschäftigt bin, damit ich nicht ins Grübeln gerate.“
„Oh, beschäftigen könnte ich dich auch“, meinte Mitch und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
„Wenn es nicht um meine Klienten ginge, würde ich sofort auf dein Angebot anspringen. Dann würde ich dich jetzt anspringen.“ Carly wurde ein bisschen rot, als sie das sagte.
„Das hört sich gut an.“ Mitchs Augen funkelten. „Ich komme darauf zurück. Spätestens heute Abend.“
Liebevoll gab er ihr einen Kuss auf den Mund, einen Kuss wie ein Versprechen.
„Wo willst du denn so schnell hin?“
Beim Klang von Rands Stimme blieb Mitch stehen, nachdem er gerade fröhlich pfeifend den Gang hinunter zum Fahrstuhl geeilt war.
„Ich gehe nach Hause“, erklärte er. Hatte er wirklich gerade vor sich hingepfiffen?
„Du gehst neuerdings jeden Tag früher“, bemerkte sein Bruder missbilligend.
Mitch schaute demonstrativ auf seine Armbanduhr. „Sechs Uhr finde ich nicht früh.“
„Für dich schon. Kann ich dich mal sprechen?“
Seufzend machte Mitch kehrt und ging mit Rand in dessen Büro, von dem aus früher ihr Vater die Geschicke der Reederei gelenkt hatte. Mitch fand es immer noch erstaunlich, wie schnell sich sein Unwillen über das Testament seines Vaters gelegt hatte. Einer der Gründe dafür war sicherlich, dass Rand sich hervorragend in das Unternehmen einfügte, womit Mitch nicht unbedingt gerechnet hatte.
„Ich will mit Carly und Rhett zu Abend essen. Carly hat heute Geburtstag.“
Rand setzte sich in seinen Schreibtischsessel, lehnte sich zurück und betrachtete seinen Bruder aufmerksam. „Du hast ein Auge auf sie geworfen, stimmt’s? Hast du sie schon rumgekriegt?“
„Im Prinzip geht dich das ja einen feuchten Kehricht an. Aber ich will es dir ausnahmsweise verraten, weil es auch dich betrifft: Wir heiraten am Freitag, und ich hatte dich als meinen Trauzeugen vorgesehen.“
Rand blieb der Mund offen stehen. Er setzte sich kerzengerade hin. „Bitte was? Du heiratest … übermorgen. Das sagst du mir jetzt?“
„Ging leider nicht früher.“
Rands Vorwurf war berechtigt. Mitch hatte es ihm eigentlich eher sagen wollen, aber sie waren in den letzten Tagen beide von Planungen, endlosen Verhandlungen und Konferenzen beansprucht gewesen. Nach dem Tod des Seniors gab es allerhand aufzuarbeiten. Am Ende eines solchen Tages hatte Mitch dann keine Lust auf eine Diskussion mit Rand, die unweigerlich folgen musste, wenn Mitch ihm von der bevorstehenden Hochzeit erzählte. Außerdem hatte Rand das schon richtig beobachtet. In letzter Zeit hatte Mitch es wirklich immer eiliger, nach Hause zu kommen. Das war früher anders gewesen, aber in Kincaid Manor hatte sich einiges verändert. Mit Carly und Rhett war dort Leben eingezogen.
„Eins verstehe ich nicht. Du warst doch fest davon überzeugt, dass Carly genauso wie ihre Schwester nur hinter unserem Geld her ist. Warum hast du deine Meinung geändert?“
„Unter anderem, weil Carly eine Fünf-Millionen-Abfindung im Falle eines Scheiterns unserer Ehe aus dem Ehevertrag hat streichen lassen.“
Als Carly darauf bestanden hatte, dass dieser Passus aus dem Vertrag verschwindet, hatte ihr Anwalt fast einen Herzinfarkt bekommen. Aber sie hatte sich davon nicht abbringen lassen.
Rand runzelte skeptisch die Stirn. „Bezweckt sie etwas damit?“
„Sie sagt, es sei nicht ihr Geld, und deshalb wolle sie es auch nicht haben.“
Lange war Mitch genauso misstrauisch gewesen wie sein Bruder, aber mittlerweile nahm Mitch Carly ab, dass sie meinte, was sie sagte. Seitdem sie in Kincaid Manor eingezogen war, hatte sie Mitch weder für sich noch für Rhett auch nur um einen Cent gebeten. Sie hatte ihre Rechnungen, auch die für die Tagesmutter und die Dinge, die sie für Rhett kaufte, weiterhin selbst bezahlt, und für sich selbst ihren äußerst bescheidenen Lebensstil beibehalten.
„Sieht so aus, als müssten identische Erbanlagen nicht zwingend identische Charaktere hervorbringen“, fügte Mitch hinzu.
Nachdem er einige Augenblicke nachgedacht hatte, meinte Rand: „Du spekulierst darauf, dass die Heirat dir den Anspruch auf das Kind sichert, oder?“
Mitch hatte mit dieser Frage gerechnet. „Das wäre nicht schlecht, ist aber nicht der einzige Grund für meinen Entschluss.“
Rand klappte der Kiefer herunter. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass du sie liebst?“
Mitch zögerte. Liebte er
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