Wenn ich in deine Augen seh (Bianca) (German Edition)
beendete sie den dritten Interviewtermin mit Tom. Wiederum war kein großer Fortschritt zu verzeichnen, aber sie gab die Hoffnung nicht auf. Sie war überzeugt davon, dass er sich ihr früher oder später anvertrauen würde. Immerhin hatte sie bereits zehn Seiten Notizen zusammen – kein schlechter Anfang für so wenige Antworten.
Sie ging auf die Veranda hinaus, um Charlie zu rufen, der ein Iglu aus Schnee neben dem Haus baute.
Ashford kam gerade mit seinen Hunden von den Stallungen herauf. Er trug eine schwarze Steppweste mit dem Logo des Viehzüchterverbands von Montana auf der Vorderseite. Wie immer raubte sein Anblick ihr ein wenig den Atem.
Am Fuß der Stufen blieb er stehen, schob sich den braunen Stetson aus der Stirn und eröffnete unerwartet: „Tom hatte im letzten Sommer einem Herzanfall.“
Rachel ging zu ihm hinunter. „Ich weiß. Inez hat es erwähnt.“
„Gut. Wenn er nicht reden will, dann drängen Sie ihn also auch nicht. Ich will nicht, dass er sich aufregt.“
„Wenn er sich nicht bald öffnet, werden noch viele Sitzungen nötig sein.“
In der Abenddämmerung wirkten Ashfords Augen beinahe schwarz und seine Miene unerbittlich. „Wenn Sie es so eilig haben mit Ihrer Story, sollten Sie sich ein anderes Versuchskaninchen suchen.“
„Darauf wollte ich nicht hinaus.“
„Sondern?“
„Ich möchte Ihr Familienleben nicht mehr als nötig stören.“
Sein Blick verriet ihr, dass sie es seiner Ansicht nach schon allein durch ihre Anwesenheit auf der Ranch tat. Trotzdem lief ein Kribbeln durch ihren Körper. Ashford mochte sie als Störung ansehen, aber er war offensichtlich nicht immun gegen ihre weiblichen Reize.
Er sagte: „Falls Sie befürchten, dass Charlie während Ihrer Interviews Unfug im Haus anstellen könnte, dürfen Sie ihn gern im Wohnzimmer vor den Fernseher setzen.“
„Ich lasse ihn nicht fernsehen, ohne zu beaufsichtigen, was er sich ansieht.“
„Das kann doch Inez übernehmen.“
Rachel schüttelte den Kopf. „Darauf wollte ich nicht hinaus. Ich wollte nur betonen, dass ich für meinen Sohn verantwortlich bin.“
„Wie ich für meinen Vater.“
Sie holte tief Luft. „Was schlagen Sie also vor? Tom bestimmt die Länge der Interviews selbst. Wenn es nach mir ginge, wäre die Sache in zwei oder drei Sitzungen erledigt.“
„Es regt ihn auf, über damals zu reden. Er kriegt Herzrasen. Deswegen hält er nur kurze Zeitspannen durch.“
Alarmiert fragte sie: „Woher wissen Sie das?“
„Von Inez. Er muss sich immer eine halbe Stunde hinlegen, nachdem Sie weg sind.“
„So schlimm? Mein Gott, warum hat Tom mir denn nichts davon gesagt?“
Ashford schnaubte nur.
„Okay, dumme Frage.“ Verärgert über sich selbst, schloss sie einen Moment die Augen und seufzte. Als sie Ashford wieder ansah, war sein Blick auf ihren Mund geheftet. In ihrem Bauch flatterte es, ihr Blut geriet in Wallung. „Ich muss gehen.“
„Wann ist die nächste Sitzung?“
„Das weiß ich nicht. Wir haben nichts ausgemacht.“ Sie ging zu Charlie, der eifrig ein Loch in eine Schneewehe grub. Über die Schulter sah sie, dass Ashford sie beobachtete, und teilte ihm mit: „Aber Tom hat uns für Sonntag zum Lunch eingeladen.“
Die Abenddämmerung verbarg den Ausdruck auf seinem Gesicht.
Rachel hob eine Hand zum Abschied.
Er erwiderte die Geste nicht.
Sie wandte sich ab und lief mit Charlie über den Kiesweg davon zum Puppenhaus unter den dunklen Nadelbäumen.
Am nächsten Mittag schrieb Rachel einen Bericht über einen Zusammenstoß zwischen Hank Baldrys Pick-up und Mike McLeods Pferdeanhänger. Der Unfall hatte sich zugetragen, weil die einzige Ampel in Sweet Creek ausgefallen war.
Daisy kam mit einem Umschlag in die Redaktion. „Hi, Ms Brant.“
„Sag doch bitte Rachel zu mir. Bringst du deine Kolumne für diese Woche?“
„Ja, aber ich wollte fragen, ob Sie sich den Text mal angucken können, bevor ich ihn Mr Hanson gebe.“
„Natürlich. Setz dich zu mir.“ Rachel schob Papiere und Ordner beiseite, um Platz auf dem Schreibtisch zu schaffen. „Dann lass mal sehen.“
Zeile für Zeile ging sie den zwei Seiten langen Artikel durch und schlug an einigen Stellen vor zu kürzen oder auszuformulieren, um den Text noch prägnanter und stimmiger zu gestalten.
Als sie fertig waren, lobte sie: „Du schreibst sehr gut, Daisy.“
„Ich will ja auch Journalistin werden.“
„Das finde ich klasse.“
Daisy lehnte sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte die Arme
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