Wenn ich in deine Augen seh (Bianca) (German Edition)
Notizen machen …“, sie reichte dem Mädchen Block und Stift, „… oder wir können ein Aufnahmegerät benutzen. Oder beides. Was immer Ihnen mehr zusagt.“
„Nichts davon sagt mir zu. Ich tue es nur für meine Enkelin. Und für meine Kinder.“
Rachel wusste, dass Ashford eine Schwester hatte, die Meg hieß und die Polizeichefin von Sweet Creek war. Erst vor zwei Tagen hatten sie gemeinsam eine Pressemeldung über den Ladendiebstahl einer ledigen Mutter verfasst. Chief McKee hatte Herz und daher durchgesetzt, dass der Artikel auf der vorletzten Seite erschien – anstatt auf dem Titelblatt, wie ursprünglich von Shaw Hanson vorgesehen.
„Keine Tonaufnahmen!“, entschied Tom. „Daiz, du machst dir Notizen, während Rachel und ich miteinander reden.“
„Okay.“ Rachel schlug ihren Notizblock auf. „Womit möchten Sie anfangen?“
„Warum nicht am Anfang beginnen und am Ende aufhören?“
„Also gut. Wie alt waren Sie, als Sie eingezogen wurden?“
„Achtzehn. Drei Wochen nach meinem Geburtstag. Uncle Sam hat keine Zeit verschwendet.“
„Was haben Sie gedacht, als Sie den Bescheid bekommen haben?“
„Was jeder Mann damals gedacht hat. Ich muss in den Krieg und komme vielleicht nie zurück. “
„Wie haben Sie dabei empfunden?“
„Was soll denn diese dumme Frage?“
Sanft entgegnete sie: „Beleidigungen bringen uns nicht weiter.“ Sie beobachtete, wie sich seine Miene entspannte, und erkannte, dass er sie nur testen wollte. Ganz genau wie ihr Vater es jedes Mal tat, wenn sie sich miteinander unterhielten.
„Was glauben Sie wohl, wie ich mich gefühlt habe? Ich hatte eine Heidenangst. Meine Eltern haben geweint. Meine Verlobte hat geweint. Verdammt, ich habe geweint. Wer wollte denn schon bei einem Krieg mitspielen, in dem es kaum Überlebenschancen gab?“
Mein Vater hat es gewollt – und ist unversehrt zurückgekehrt. „Leben Ihre Eltern noch, Tom?“
„Nein. Meine Mutter ist vor vierzehn Jahren gestorben. Mein Vater hat draußen auf der Weide einen Herzinfarkt gekriegt, während ich in Vietnam war.“
Seinen Vater nicht noch einmal sehen, ihn nicht beerdigen zu können – das musste den jungen Soldaten sehr gequält haben. „Haben Sie Ihre Verlobte nach Ihrer Rückkehr geheiratet?“
Er lachte hart auf. „Nach einem Blick auf diese Stümpfe ist sie wie der Blitz aus Sweet Creek verschwunden und nie zurückgekommen.“ Er senkte den Kopf. „Hab gehört, dass sie gute zehn Jahre später gestorben ist.“
Rachel konnte nachempfinden, warum seine Worte so hohl und verlassen klangen. Sie entsprachen der Stimme ihres eigenen Herzens. Denn sie hatte mit acht Jahren ihre Mutter verloren und war seitdem aus der Gefühlswelt ihres Vaters ausgeschlossen. Zu guter Letzt hatte Floyd Stephens sie auch noch abserviert. Weil sie beschlossen hatte, sein Baby zu behalten.
Tom hob den Kopf. „Ash und Meggie sind nicht meine leiblichen Kinder, aber hier …“, er tippte sich mit der Prothese auf das Herz, „… gehören sie zu mir. Sie geben mir mehr, als ein alter Mann sich wünschen kann. Mehr, als ein Soldat sich erhoffen kann, um die schrecklichen Erinnerungen zu verdrängen. Sie sind der Grund, weshalb ich seit sechsunddreißig Jahren weiterlebe, anstatt mir die Kugel zu geben. Und eines sollten Sie wissen: Ich liebe meine Kinder. Mehr, als sie es wissen. Und mehr, als Sie beschreiben können. So, jetzt sind wir fertig für heute und ich muss mich ausruhen.“ Und damit rollte er aus dem Zimmer.
Daisy stand langsam vom Sofa auf, mit dem Notizblock in der Hand, und schlüpfte still aus dem Raum.
Niemand hatte Rachel eine so tiefe Liebe entgegengebracht wie Tom seinen Stiefkindern.
Hör bloß auf, dich selbst zu bemitleiden, ermahnte sie sich. Ich gehe besser nach Hause und tippe mal schön meine Notizen ab. Darin bin ich gut. Außerdem habe ich Charlie. Er ist mein Lebensinhalt.
5. KAPITEL
Das nächste Interview fand am Sonntagvormittag statt und dauerte kaum fünfzehn Minuten. Tom enthüllte wenig über sich selbst und noch weniger über den Krieg. Daisy notierte sich schweigend einige Fakten.
Als Tom die Sitzung für beendet erklärte, zog Rachel sich mit Charlie ins Cottage zurück.
Vier Tage wohnten sie nun auf der Ranch. Vier Tage, in denen sie Ashford nur hin und wieder von Weitem zu Gesicht bekommen hatte. Etliche Male hatte sie unwillkürlich aus dem Fenster gespäht und nach ihm Ausschau gehalten. Kein gutes Zeichen.
Gegen fünf Uhr am Mittwochnachmittag
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