Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
Sekunde ihres Ringens um Selbstbeherrschung aufsog. »Kürzlich hat er bei einem Match einen Schlag auf den Kopf bekommen und trotzdem weitergespielt. Seitdem war er nicht mehr er selbst.« Die Tränen ließen sich nicht länger halten, und sie bat die Interviewerin um eine Pause.
Anya musste zugeben, dass dieses Interview höchst spannende Unterhaltung bot. In weniger als dreißig Minuten hatte Terri Janson eine sexuelle Perversion eingestanden, jede Beteiligung ihres Mannes an einem Ehebruch im Hotelzimmer in Abrede gestellt und Trainern, Mannschaftsärzten und Clubbesitzern die alleinige Verantwortung für sein Verhalten – und daraus folgend seinen Tod – zugwiesen. Ein Drehbuchschreiber hätte es sich nicht besser ausdenken können.
Ethan ging kurz an sein Handy, dann sprach er wieder zu Anya.
»Aber das muss man ihr lassen. Falls sie vorhat, demnächst die Bombers wegen Tod durch Fremdverschulden zu verklagen, hat sie gerade die ganze Nation hinter sich gebracht. Wir sollten zusehen, dass wir uns ordentlich ausruhen. Morgen könnte ein langer Tag werden.«
Anya legte den Hörer weg und rekapitulierte, was sie eben gesehen hatte. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, wie man derart intime Details öffentlich machen konnte. Nach dem Verschwinden ihrer Schwester hatte sich Anyas Familie einem enormen Druck ausgesetzt gesehen, in den Medien und der Öffentlichkeit Aufrufe zu starten. Ihre Mutter und ihr Vater kamen dem auch nach, aber sie hielten Anya, soweit es in ihrer Macht stand, aus dem Blickfeld der Kameras. Unglücklicherweise steigerte das nur das Interesse an ihr, bis schließlich Gerüchte aufkamen, sie habe etwas mit Miriams Verschwinden zu tun.
Sie hatte Mitleid mit Jansons Töchtern, die nun in das grelle, unbarmherzige Licht der Scheinwerfer gestoßen wurden. Die Mitschülerinnen und Mitschüler wüssten von den sexuellen Vorlieben ihres Vaters. Und Kinder konnten viel grausamer sein als Erwachsene. Sie hatte das am eigenen Leib erlebt.
Das Interview wirkte von vorn bis hinten gestellt und unnatürlich. Sie musste an Jim Horan denken, der Terri versprochen hatte, ihr einen Auftrag für einen Kosmetikkonzern zu sichern. Womöglich war all das nur ein Stück Werbung in eigener Sache, in einer Welt, die permanent nach größeren Schocks verlangte, um überhaupt noch Interesse für irgendetwas aufzubringen.
Anya trocknete sich ab, nahm einen frischen Pyjama aus dem Koffer und legte sich aufs Bett. Mit einem Mal wurde die Müdigkeit überwältigend, und sie lag da und ließ die vergangenen Tage Revue passieren. So viel war geschehen, seit sie in den Flieger gestiegen war. Sie sah auf die Uhr. Daheim war Ben jetzt noch in der Schule, aber sie konnte sich nicht noch einmal ein paar Stunden wach halten, um mit ihm zu reden. Es wäre sinnvoller, morgen früh anzurufen.
Das Telefon schellte, und sie fragte sich, was Ethan wohl vergessen hatte.
»Hier Buffet«, knurrte eine mürrische Stimme. »In zehn Minuten Notfallsitzung in meiner Suite. Ich erwarte Sie.«
34
Bevor Anya die Klingel zur Suite drückte, steckte sie sich das feuchte Haar noch rasch mit einer Spange fest.
Ein Mann, der ihr noch nicht vorgestellt worden war, den sie aber unmittelbar nach Jansons Tod gesehen hatte, öffnete und bat sie herein. Auf einer Couch saß Kitty Rowe in Jeans, stahlgrauem Sweater und hochhackigen Stiefeletten. Neben ihr hockte Bentley Masterton und kaute auf dem Daumennagel, Jackett und Krawatte hatte er über die Rückenlehne der Couch geworfen.
Buffet knurrte Befehle in das Zimmertelefon. Am Esstisch saß Gavin Rosseter und studierte Zeitungen, in denen er Passagen mit neongelbem Leuchtstift anstrich. Unter dem Tisch zuckte sein rechtes Knie auf und ab. Dr. Reginald Pope stand gegenüber und trommelte geistesabwesend mit den Fingern auf der konferenztischgroßen Tafel herum. Verstimmt über Popes Macke blickte Gavin auf, sagte aber nichts. Er bat Anya, sich zu ihm zu setzen.
Die Anspannung im Raum war mit Händen zu greifen. Alle warteten darauf, dass Buffet etwas sagte. Ethans Fehlen war nicht zu übersehen.
Am anderen Ende des Tisches saß Trainer Ingram neben zwei Männern mit identischer Kurzhaarfrisur. Den dunklen Anzügen nach waren es Anwälte. In der Mitte stand eine Platte mit belegten Broten, zudem hatte man eine zweite Kaffeemaschine in die Suite gebracht. Man stellte sich offenbar auf eine lange Nacht ein.
Anya versicherte sich, dass sie den Obduktionsbericht und die Ergebnisse des
Weitere Kostenlose Bücher