Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
wer so genau hinsah wie ich, der konnte merken, dass sie sich keinesfalls egal waren. Immer, wenn sie sich vorbeugte, stützte auch Felix seine Ellenbogen auf die Oberschenkel. Lehnte sie sich zurück, dann richtete er sich auf und räkelte sich. Und einmal hätte er fast den Arm hinter ihr auf die Rückenlehne des Sofas gelegt, aber dann zog er ihn zurück. Und das war das eigentlich Auffällige daran. Denn wenn da nichts dabei gewesen wäre und er nur einfach bequemer hätte sitzen wollen, dann hätte er das ja tun können. Aber ich glaube, er wollte den Arm um sie legen und hat sich nicht getraut.
Als alle durcheinanderredeten und keiner auf uns achtete, zog Tom mich in unsere Garderobennische, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Er ließ sich auch dann nicht stören, als Flocke vorbeikam und laute Schmatzgeräusche von sich gab.
Felix war irgendwann ziemlich müde und wirkte noch blasser als vorher. Tom und er haben sich daher früh verabschiedet. Vicky ist mit ihnen gegangen und hat sich auf der Straße bei den beiden eingehakt. Sie wusste, dass Maiken und ich an der Tür standen und ihnen nachsahen. Sie muss sich eben immerirgendwie in den Vordergrund drängen. Aber ich war ganz gelassen, denn nach solchen Küssen hat man echt keinen Grund zur Eifersucht. Soll sie Tom doch anbaggern. Ich bin viel privater als sie! Aber Maiken sah man doch an, dass sie Vicky am liebsten in einer Rakete ins All geschossen hätte.
00.23 Uhr Ich bin dann in mein Zimmer gegangen, bevor Paps zurückkam und mich unter Flockes Gästen entdecken konnte. Aber er ist ja nicht doof. Dana hätte er unter Florians Freunden natürlich erwartet, aber Maiken nicht, und Benny kennt er auch aus meiner Klasse. Er hat also zwei und zwei zusammengezählt.
Solange unsere Gäste noch da waren, bewies mein Vater Stil. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und wartete dort, bis Florian das Wohnzimmer aufgeräumt und alle Freunde verabschiedet hatte.
Ich nehme an, dass er diese Zeit nutzte, um bei der Lektüre von »Mann oder Memme« Kraft zu tanken. Und danach ging’s dann los. Aber hallo. Diesmal traf das Donnerwetter allerdings nicht mich, sondern Flocke. Ich durfte nicht mal dabei sein, was mich ärgerte, denn aus den Wortfetzen, die durch die verschlossene Tür drangen, schloss ich, dass es auch und vor allem um mich ging. »Lilia«, »Konsequenz«, »durchgreifen«, »Grenzen setzen«, das war Paps und da kochte mir die Galle hoch. »Sechzehn«, »alt genug«, »schließlich ihr Leben« und »selbst bestimmen«. Flockes Worte waren dagegen Balsam in meinen Ohren. Die beiden debattierten ewig und irgendwann war es mir zu riskant, auf der Treppe zu sitzen und beim Zuhören erwischt zu werden. Ich schlich leise in mein Zimmer zurück.
0.37 Uhr So, und jetzt bereite ich noch schnell die Aktion vor, die wir für morgen geplant haben.
0.56 Uhr Habe drei Plakate entworfen, ein Exemplar für jedes Stockwerk der Schule.
»Spendenmarathon? Nein danke!« steht oben ganz fett in Rot. Darunter findet man dann unsere Argumente, unser Alternativprogramm und eine neue Mailadresse, unter der man sich anmelden kann. Wer statt am Marathon lieber an unserer Aktion teilnehmen will, sollte für Montag eine bezahlte Tätigkeit finden, gern auch bei Verwandten oder Bekannten der Eltern. Da jobben wir dann alle den ganzen Tag lang und das Geld, das wir dabei mit echter Arbeit verdienen, spenden wir an »Ärzte ohne Grenzen«. Die neuen Tische in der Cafeteria wollen wir nicht unterstützen, weil wir sie für überflüssig halten. Aber die medizinische Versorgung von Menschen in Krisenregionen finden wir wichtig. Und dafür wollen wir auch arbeiten. Damit beweisen wir, dass wir nicht faul oder egoistisch sind, und auch, wie gut wir zusammenhalten und uns unterstützen. Denn wir schützen uns ja gegenseitig. Einen allein kann ein Schulleiter vielleicht von der Schule werfen. Aber eine ganze Gruppe? Das dürfte schwierig sein.
Wir wollen alle mitmachen, auch Felix, obwohl der ja sowieso noch nicht kilometerweit rennen kann. Und sogar Vicky. Damit sind wir schon acht. Wenn noch ein paar mehr Leute mitmachen, bekommt der Maki richtig Gegenwind. Mit jedem weiteren wird es für alle leichter. Und ich wette, dass wir noch ein paar Mitstreiter finden.
Und wenn der Maki wegen unserer Aktion einen Brief an unsere Eltern schreibt, dann hoffe ich sehr, dass sie stolz auf ihre Sprösslinge sind.
Mehr kann uns nicht passieren. Wenn wir viele
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