Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers
und Essen, das er irgendwie nicht mochte.
»Kinder, war das schön«, pflegt sein Vater an den Diaabenden zu sagen, während Mutter versonnen nickt, und ganz besonders gerne erinnern sich die beiden dann seltsamerweise an die tagelangen Autofahrten, die es brauchte, um die damals beliebten Ziele im Süden zu erreichen.
»Ich weiß nur noch, dass wir immer im Stau gestanden haben«, wendet Harald regelmäßig ein, erntet aber nur ein Kopfschütteln.
»Die Staus waren doch das Schönste«, entgegnet ihm seine Mutter, und wenn Harald dann verständnislos den Kopf schüttelt, sagt sie: »Damals war eben ein Stau noch ein Stau. Wir hatten es doch nicht eilig!«
»Genau«, ruft Vater Grützner, »und deine Mutter hatte immer was Leckeres dabei.« Seine Augen leuchten, denn er erinnert sich nun an die Campingstühle und Tische mit karierten Decken, die man zwischen die Autos stellte, und den Nudelsalat aus der Kühltasche, wo er zwischen blauen Kühlakkus lagerte, die spätestens am Nachmittag einer elend langsamen Fahrerei durch die sengende Sonne feucht und lauwarm waren.
»Immer haben wir nette Leute kennengelernt«, sagtVater.
»Die Bahlkes aus Wuppertal besuchen wir heute noch. Die haben wir 1973 in der Nähe von Würzburg-Randersacker kennengelernt«, erinnert sich Mutter.
»Nein, Irmgard«, wendet Vater mit bestimmtem Ton ein, »das war 1976 kurz hinter Passau. 1973 haben wir die Schmidts aus Kaiserslautern getroffen.«
»Ach, da ist der Mann vor zwei Jahren gestorben«, sagt Mutter mit bedauerndem Kopfschütteln. »Der war immer so nett.«
»Hat aber zu viel getrunken, war doch klar, dass das irgendwann nicht mehr gutgeht«, knurrt Vater... So können Stunden vergehen. Vater und Mutter schwelgen in Erinnerungen, wen sie noch alles in welchem Stau kennengelernt haben (es sind definitiv mehr als die Urlaubsbekanntschaften aus den Zielorten), und Harald trinkt missmutig ein Bier nach dem anderen und schaut alle zwei Minuten auf seine Armbanduhr.
An einem Freitagabend im Mai war es wieder einmal soweit. Harald saß im Wohnzimmer des gemütlichen Reihenmittelhauses seiner Eltern. Die Dias waren geguckt, Vater und Mutter hatten diverse Staugeschichten zum Besten gegeben. Irgendwann reichte es Harald, und diesmal, er hatte wohl ein, zwei Bier zu viel getrunken, schimpfte er plötzlich los. »Gut, dass diese Zeiten vorbei sind!«, rief er. »Ich kann das nicht nachvollziehen, wie man sich so nach früher sehnen kann. Überlegt doch mal, wie viel sinnlose Zeit ihr auf der Autobahn vergurkt habt. Und diese grässlichen Ehepaare, die da am Straßenrand rumlungerten, die könnt ihr doch in Wirklichkeit gar nicht leiden. Würden die hier in der Straße wohnen, ihr würdet sie nicht mal grüßen!«
Seine Eltern schauten ihn betroffen an. »Wie kannst du nur so etwas sagen«, rief seine Mutter entrüstet. »Nur weil ihr heute das ganze neumodische Zeug habt, musst du dich doch nicht als was Besseres aufspielen. So was Schönes wie damals gibt es heute gar nicht mehr. Die Leute sind so kalt und gehetzt und fummeln immer nur an ihren Geräten herum.« Sie zeigte anklagend auf Haralds Multifunktionshandy. Harald merkte, wie er wütend wurde. Dennoch schob er das Handy
lieber schnell aus der Sichtlinie seiner Mutter in die Hosentasche, bevor er weiterredete: »Heute vertändelt man seine Zeit eben nicht auf der Autobahn. Alles ist viel besser ausgebaut, da fährt man nicht mehr tagelang durch die Gegend. Besser, man kommt schnell an und genießt den Urlaubsort. Man kann auch fliegen. Und man hat bessere Autos. Hamburg – Gardasee vier Stunden, so muss das gehen!«
»Naja«, brummte sein Vater. »Da mach ich lieber mal eine Pause und esse den leckeren Nudelsalat von deiner Mutter.«
»Mit Frikadellen«, nickte Mutter.
Harald schüttelte sich. »Ich mache auch Pausen. Es gibt doch inzwischen an jedem Straßenschild eine erstklassige Gastronomie. Burgerbrater. Gourmettempel. Salatbars. Cafes. Kuchenbasare. Alles wunderbar. Da brauche ich keine stinkige Kühltasche...!«
Der Abend endete unterkühlt. Sein Vater brummelte, er müsse noch im Garten etwas zusammenräumen, seine Mutter gab ihm nicht den üblichen Kuss auf die Wange. Harald fuhr mit seinem Fahrrad wütend nach Hause und beschloss, beim nächsten Mal darauf zu bestehen, dass keine Dias angeschaut würden -oder wenn, dann wenigstens die von den Familienfeiern, wenngleich ihm diese Alternative auch nicht viel besser erschien.
Schon bald ergab sich
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