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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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konnte. Er zog ein Schwert aus der Halterung an der Wand und ließ es die Luft zerschneiden, sirrend und scharf, kämpfte gegen unsichtbare Schatten und zugleich gegen den Dämon in seinen Inneren.
    Deine Aufgabe ist noch nicht erfüllt
.
    Du darfst noch nicht gehen
.
    Als er in die Realität zurückkehrte, hatte der Nebel das Haus erreicht. In ihm lag der Duft nach Salz und Tang, kroch durch die offenen Fenster. Die Dämonen nisteten sich in ihren Käfigen ein, fuhren die Krallen ein und fielen in einen leichten Schlaf. Daniel wiederum gab sich der Illusion eines gewöhnlichen Lebens hin. Er duschte, wärmte den Rest Brokkoli-Auflauf vom Vortag im Ofen auf und genoss ihn mit einem Glas Wein. Morgen machten ihm Nikolai und Jethro ihre Aufwartung, was das Haus mit jugendlicher Energie füllen würde. Es bedeutete aber auch, dass Ruhe erst gegen Mitternacht einkehren würde. Dem gemeinsamen Training blickte er stets mit einer Mischung aus Stolz und Unwillen entgegen. Großmeister Zongyou behielt auch in dieser Hinsicht recht.
    „Das Leben besteht aus Komponenten, die gegeneinander arbeiten. Aus Widersprüchen und Gegensätzen. Höchstes Ziel ist es, diese Widersprüche in eine harmonische Dualität zu verwandeln. Das Mittelmaß zu finden. Die goldene Mitte, verstehst du? Kämpfst du gegen den Strom, ermüdest du und ertrinkst. Tust du nichts, reißt er dich unkontrolliert mit sich.“
    Nur bekleidet mit seiner schwarzen Hose ging er hinunter zum Meer. Er wanderte den Pfad entlang, der sich zwischen alten Kiefern und Hemlocktannen hindurchschlängelte. Die See hatte sich verhüllt. Wellen und Brandung wurden zu Schemen in stumpfem Grau. Ein Sturm stand bevor. Morgen Nachmittag, vielleicht auch erst am Abend, würde er die Küste erreichen.
    Seine Gedanken schweiften zu der Frau ab, die ihn heute Mittag aufgesucht hatte. Rief er sich ihr Gesicht vor Augen, brannte in ihm ein Schmerz, den er sich nicht erklären konnte. Er fühlte sich zugleich fremd wie auch vertraut an, als betrachtete er ihn durch einen halb blinden Spiegel.
    Und plötzlich begriff er das Geheimnis dahinter. Er war das Gefäß einer fremden Seele, und was er spürte, waren ihre Empfindungen. Ihre Erinnerungen und ihr Schmerz. Lang hatte er den Geist in sich nicht mehr gespürt, genau genommen seit seiner Rückkehr aus China. Verschwunden war das Wesen nicht, das spürte er. Vielmehr hatte es sich zurückgezogen, sich in den Tiefen seines Selbst verkrochen, als würde es auf etwas warten.
    Doch worauf?
    Er lauschte in sich hinein. Es gab eine Stelle tief in seiner Brust, die sich manchmal warm anfühlte. Ähnlich vibrierend und energetisch aufgeladen wie der Kristall. Seiner Vermutung nach war es die Seele, die sich in ihm eingenistet hatte. Doch jetzt fühlte sich dieser Punkt an, als wäre er zu Eis erstarrt. Finger aus Kälte krochen von dort aus durch sein Fleisch. Sie berührten sein Herz und krochen hinauf in sein Gehirn.
    Weise sie nicht ab!
, säuselte eine Stimme.
Sie gehört zu dir. Eure Wege haben sich vereint. Jetzt müssen sie zu einem werden
.
    Er hätte fast laut aufgelacht. Es war seltsam, die Stimme wieder zu hören, tröstlich auf sonderbare Art. Ihm war, als wäre ein lang vermisster Freund zurückgekehrt, mit einer Forderung im Gepäck, die er unmöglich erfüllen konnte. Niemand sagte ihm, was er zu tun hatte. Nicht einmal der Geist eines unbekannten Toten, der sich aus weiß Gott welchen Gründen ausgerechnet ihn als Gefäß ausgesucht hatte. Nikolai und Jethro, mit gutem Willen auch Rebecca, waren die einzigen lebenden Menschen, die er an sich heranließ. Für mehr Nähe gab es in seinem Leben keinen Platz. Er war nicht dafür geschaffen, sozial zu sein. Menschen raubten ihm Energie und brachten sein inneres Gleichgewicht aus dem Takt. Einzelgängertum entsprach seinem Weg der goldenen Mitte, auch wenn die meisten es nicht verstanden.
    „Ich kann nicht und will nicht“, sagte er laut zu der Stimme. „Absolut ausgeschlossen. Solange du die Füße unter mein Gehirn stellst, habe ich hier das Sagen.“
    Er griff nach dem Ast einer Kiefer und vollführte einige Klimmzüge. Tief atmete er den salzigen Duft des Ozeans ein, stemmte sich am Ast hoch und schwang sich rittlings darauf. Mit hängenden Beinen starrte er in den Nebel hinaus, belebte Erinnerungen an seine Jahre im Kloster wieder. Wie viel lieber wäre er dort geblieben, behütet von der friedvollen Stille der Berge, doch Großmeister Zongyous Forderung war eindeutig

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