Wenn plötzlich die Angst kommt: Panikattacken verstehen und überwinden (German Edition)
sie ausdrückt, was »normal« und was »unnormal« ist. Diese Einstellungen oder »Regeln« mögen von unserer Kultur herrühren, von der Umgebung, in der wir aufgewachsen sind, oder unserer Familie. Ich wurde mir dessen zum ersten Mal bewusst, als ich meine Frau heiratete. In meiner Familie war es normal, den anderen immer zu erzählen, was wir gerade taten, selbst bei Kleinigkeiten, z. B. wenn wir den Raum verließen. In der Familie meiner Frau war es normal, dass jeder »sein eigenes Ding« machte und die anderen nicht darüber informierte. Deswegen brachte es mich regelrecht aus der Fassung, wenn sie den Raum verließ, ohne ein Wort zu sagen. Und sie war verärgert, wenn ich ihr ständig unnötige Informationen über meinen Aufenthaltsort lieferte. Wir haben dieses Problem ziemlich einfach gelöst, nachdem wir verstanden hatten,dass es das Ergebnis von unterschiedlichen »Familienregeln« war.
In einigen Familien lautet eine unausgesprochene Regel, dass Gefühle fest unter Kontrolle gehalten werden sollten und dass es falsch oder ein Zeichen von Schwäche ist, Gefühle zu zeigen. In anderen Familien lautet die Regel, dass Gefühle in Ordnung sind, aber dass es irgendwie ungesund ist, negative Gefühle zu haben. Manche Familien akzeptieren oder diskutieren Gefühle überhaupt nicht. Was auch immer Ihr Hintergrund ist – und es gibt sehr viele verschiedene »Regeln« –, so haben wir doch alle unausgesprochene Einstellungen zu den Gefühlen.
Aber was ist nun eine gesunde Einstellung?
– Gefühle zu haben ist normal und gesund.
– Sowohl positive als auch negative Gefühle zu haben ist normal und gesund. Am Ende eines Kurses über Psychotherapie sagte eine Patientin zu mir:
»Früher wollte ich, dass alles perfekt ist – fast jeden Tag. Ich wollte immer in diesem Glückszustand sein. Ich wollte nicht, dass jemand denken könnte, mit mir sei etwas nicht in Ordnung – ich sei wütend oder unglücklich. Ich werde in Zukunft nicht mehr zulassen, dass mir die Einstellung ›Mir kann nichts etwas anhaben‹ Sorgen macht. Denn nun bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass Höhen und Tiefen normal sind.«
Diese Patientin ist gesund geworden. Einige Monate später schickte sie mir eine Flugzeug-Postkarte und schrieb, sie sei nun in der Lage gewesen, ohne Panikattacke zu fliegen – das Endziel ihrer Behandlung.
– Gefühle zu erleben unterliegt normalerweise nicht der bewussten Kontrolle. Rationales Denken kann kontrolliert und in gewisse Richtungen gelenkt werden, aber Gefühle funktionieren so nicht. Wir können nicht erwarten, dass sie uns »gehorchen«.
– Gefühle sind Teil unseres Menschseins. Wenn es nur positive Gefühle gäbe, könnten wir nicht angemessen auf die Höhen und Tiefen des Lebens reagieren. Wir hätten ein festgefrorenes Lächeln im Gesicht und wären glücklich, egal ob wir im Lotto gewonnen hätten oder unser bester Freund gestorben wäre. Positive Gefühle erleben zu können bedeutet, dass auch negative Gefühle möglich sind.
– Gefühle können uns nicht schaden. Sie sind Teil eines normalen, gesunden Körpers.
– Gefühle sind nicht primitiv, und sie sind gegenüber dem Verstand oder der Logik auch nicht minderwertig. Der Psychologe Richard S. Lazarus hat es folgendermaßen formuliert: »Wir haben einen Geist, und er enthält sowohl Gedanken als auch Gefühle. Leidenschaft und Vernunft kommen hier zusammen. Es gibt nichts Menschlicheres als Vernunft und Gefühl.« Was wir brauchen, ist die richtige Balance.
– Emotionen zu empfinden ist nicht dasselbe, wie emotional zu handeln. Wut zu fühlen ist nicht dasselbe, wie wütend zu reagieren, zum Beispiel jemanden anzuschreien, zu beschimpfen oder zu schlagen. In manchen Situationen sind emotionale Handlungen richtig, in anderen aber nicht. Es ist nicht besonders schädlich, unser Handeln zu kontrollieren, aber es ist schädlich, unseren Gefühlszustand zu kontrollieren
Emotionale Erlebnisse zulassen
Grundsätzlich ist es am besten, Gefühle weder zu unterdrücken oder zu kontrollieren noch seine Emotionen abzuschalten oder sich von ihnen zu distanzieren. Es ist allerdings verständlich, dass Menschen mit ständigen unangenehmen Panikgefühlen sich wünschen, sie könnten ihre Gefühle unter Kontrolle halten. Unglücklicherweise ist diese Gewohnheit oft so tief in einem Menschen verwurzelt, dass er schließlich versucht, jedesGefühl, das sich regt – auch wenn es ein positives ist –, zu
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