Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
inzwischen von ihnen abhängig, wie sie sich eingestehen musste. Abends Schlaftabletten, morgens Speed, damit sie wach wurde und den Stress besser aushielt. Zum Abschalten kiffte oder trank sie und nahm nachts zusätzlich Schlaftabletten. Warum er ihr das zum Vorwurf machte, begriff sie allerdings nicht: Er selbst hatte ihr nicht nur die Pillen besorgt, er rauchte auch einen Joint nach dem anderen und schnupfte sogar Koks.
Dann schien er sich plötzlich ernsthaft Sorgen zu machen, weil sie stark abnahm. Sie würden das Shooting in Südfrankreich als eine Art Urlaub betrachten, versprach er, und sie dachte, er habe endlich eingesehen, wie schlecht er sie behandelte. Sie würden in einem Luxushotel wohnen, von Millionären und Filmstars zum Essen auf deren Jachten eingeladen werden, und sie würde genug Zeit zum Sonnenbaden und Auftanken finden. In einem seltenen Moment echter Zärtlichkeit sagte er ihr, wie viel sie ihm bedeute, und er gab sogar zu, ihr zu viel zugemutet zu haben. Nicht mehr lange, dann würden sie das Tempo drosseln, versicherte er, und nach ihrer Rückkehr aus Frankreich dürfe sie den Führerschein machen und bekomme ihr eigenes Auto.
Josie war überglücklich, als sie das hörte. Ellen hatte bereits den Führerschein und ein Auto, und nach allem, was sie erzählte, imponierte ihren Eltern das Auto mehr als alles andere.
Josie fragte sich oft, was sie ohne Ellen machen würde. Sie konnte sich hundertprozentig auf sie verlassen. Ellen schrieb ihr jede Woche, fuhr nach London, wann immer sie sie darum bat, und Josie wusste, sie wäre ihr umgekehrt jederzeit willkommen. Sie besuchte Ellen allerdings nicht oft, weil sie zu chaotisch war, um sich nach dem Fahrplan von Zügen zu richten. Aber sie rief sie mindestens alle vierzehn Tage an, gleichgültig, wo sie sich gerade aufhielt.
Sie konnte darauf vertrauen, dass Ellen sich ihre Sorgen anhörte, beeindruckt war, wenn sie von der Begegnung mit einem Prominenten erzählte, sämtliche Zeitungsmeldungen über sie ausschnitt und in das Album einklebte. Sie versuchte sogar, zwischen Josie und den Eltern zu vermitteln. Das war typisch Ellen: Ordnung und Harmonie gingen ihr über alles, und da störte es sie natürlich, wenn ihre Schwester zu Hause nicht willkommen war.
Voller Zuversicht und Optimismus brach Josie nach Frankreich auf. Mark schien seine Zuneigung zu ihr wiederentdeckt zu haben, und wenn sie erst einmal den Führerschein hätte, würde sie nach Cornwall fahren und zu Hause die Dinge ins Lot bringen können, hoffte sie. Ihre Fotos in den Zeitungen beeindruckten ihre Eltern vielleicht nicht, aber sichtbare Zeichen des Erfolges – wie zum Beispiel ein Auto und ein paar protzige Geschenke – sollten eigentlich im Stande sein, Violets und Alberts Meinung über ihre Tochter zu ändern.
Beim Shooting in St. Tropez bröckelte Josies Selbstvertrauen jedoch. Ein Gefühl der Minderwertigkeit überkam sie, als sie die anderen Models sah, weltgewandte, atemberaubend schöne junge Frauen, die sich auf den Laufstegen in Paris und Mailand einen Namen gemacht hatten. Sie waren recht kühl zu ihr, was vielleicht daran lag, dass Josie sich ihren Erfolg nicht bei Privatmodeschauen und in Modehäusern hatte hart erarbeiten müssen.
Das Hotel, in dem sie wohnten, bildete auch die Kulisse für das Shooting, bei dem sie in Abendgarderobe und Ballkleidern fotografiert wurden. Mit seinen weißen Marmorterrassen, dem herrlich angelegten Park, den riesigen Salons und prächtigen Kronleuchtern war es das prunkvollste, das Josie je gesehen hatte. Sie fühlte sich von dieser Umgebung eingeschüchtert, zumal die französische Presse sie umschwärmte und jeden ihrer Schritte beobachtete. Während die anderen Mädchen sich anmutig und majestätisch bewegten, als wären sie diesen Luxus von klein auf gewöhnt, kam sich Josie zum ersten Mal in ihrem Leben wie eine graue Maus vor.
Normalerweise hatte sie während der Arbeit keine Gelegenheit zu trinken, aber in diesem Nobelhotel genügte ein Wink, und der Ober brachte ihr einen Cocktail. Der Alkohol und die Hitze machten sie schläfrig und unkonzentriert. Mark war sichtlich verärgert, weil sie die Grundregeln des Modelns vergessen zu haben schien.
Am dritten Nachmittag lief Josie nach der Arbeit zum Strand hinunter und sprang fröhlich ins Wasser. Nur wenige Minuten später erschien Mark und befahl ihr, sofort ins Hotel zurückzukehren.
»Aber wieso denn?« Hatte er nicht versprochen, den Aufenthalt als eine Art Urlaub
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