Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
tat. Was ihr Dad sagte, klang logisch, und sie wollte ihm in dieser schweren Zeit nicht noch zusätzlichen Kummer bereiten. Außerdem wünschte sie sich in ihrem tiefsten Innern nichts sehnlicher, als nach Hause zurückzukehren.
»Ich kann nicht zurückkommen, wenn Lucy sich nicht ändert«, erklärte sie. »Ich ertrage ihre ständigen Attacken einfach nicht mehr.«
»Sie ist nicht nur eifersüchtig, weißt du, sondern leidet unter schweren Schuldgefühlen. Sie hat eingesehen, dass sie in den letzten Monaten mehr für ihre Mutter hätte tun sollen. Je mehr sie sich vor der Arbeit gedrückt hat, desto mehr hat auf dir gelastet. Das war ein Teufelskreis, der sie völlig fertig gemacht hat.«
»Warum vergessen wir das Ganze dann nicht einfach und fangen von vorn an?«
»Genau das, mein Schatz, ist der fundamentale Unterschied zwischen euch beiden. Du kannst das, einfach sagen: ›Schwamm drüber, fangen wir von vorn an!‹ Lucy kann das nicht. Sie ist vom Wesen her genau das Gegenteil von dir. Für sie gibt es nur schwarz und weiß, aber keine Zwischentöne. Ihr Leben ist in Fächer unterteilt: in diesem Fach das College, in jenem die Familie, daneben ihr Freundeskreis und so weiter. Du hingegen bist flexibel, anpassungsfähig, und damit ist sie überfordert. Du siehst nicht nur schwarz und weiß, du siehst den ganzen Regenbogen.«
Daisy machte ein erstauntes Gesicht. »Tatsächlich?«
Ihr Vater lachte leise. »Der Vergleich hinkt, aber etwas Besseres ist mir im Moment nicht eingefallen. Ihr habt beide eure Stärken. Lucy ist zielstrebig, ehrgeizig und hat einen scharfen Verstand. Du bist warmherzig, mitfühlend und hast einen herrlichen Sinn für Humor.«
»Manchmal wünschte ich, ich hätte Lucys Stärken«, gab Daisy traurig zu.
»Und sie hätte gern deine.« Er beugte sich vor und ergriff ihre Hand. »Aber am meisten hat sie dich um dein unbeschwertes, lockeres Verhältnis zu deiner Mutter beneidet. Sie hat mir gestern Abend gestanden, sie hätte euch oft miteinander lachen und schwatzen hören, und es hätte sie gewurmt, dass sie das nicht auch konnte. Sie konnte ihrer Mutter nicht sagen, dass sie sie liebte. Und jetzt denkt sie wahrscheinlich, sie hätte es noch sagen können, wenn sie rechtzeitig heimgekommen wäre und sie noch einmal gesehen hätte.«
»Ja, kann sein«, räumte Daisy nachdenklich ein. Plötzlich begriff sie, warum Lucy an jenem Tag so aggressiv reagiert hatte. »Aber das ist doch blöd. Ich meine, Mum hat uns genau gekannt und uns so akzeptiert, wie wir sind.«
»Eines Tages wird Lucy das auch erkennen. Was hältst du davon, wenn du übers Wochenende bei Joel bleibst und Montag wieder nach Hause kommst? Dann sind Tom und Lucy auf dem College, und du kannst dich in Ruhe nach einem Job umsehen. Und ich werde so bald wie möglich eine Putzfrau einstellen. Wir können nicht von dir erwarten, dass du dich ständig allein um alles kümmerst.«
»Was sagt Lucy dazu?«
»Nun, sie hat schon befürchtet, sie müsste ein neues Fach anlegen und neben ihrer Arbeit fürs College auch noch putzen und kochen.« Er lächelte bitter. »Deshalb wird sie erleichtert sein. Und Tom und ich möchten einfach, dass du wieder dort bist, wo du hingehörst.«
Das genügte Daisy. Sie rutschte neben ihren Vater und umarmte ihn. »Okay, ich komme am Montag wieder nach Hause. Ich würde alles tun, damit du nicht mehr traurig bist.«
»Die Trauer kommt und geht, weißt du? In der einen Minute bin ich froh, dass Lorna von ihren Schmerzen erlöst wurde, und in der nächsten würde ich meine Seele dem Teufel verkaufen, wenn ich sie dadurch wieder lebendig machen könnte. Ständig meine ich, sie irgendwo im Haus zu sehen, manchmal so klar und deutlich, dass ich denke, sie ist wirklich da. Vielleicht fühl ich mich besser, wenn ich wieder arbeiten gehe.«
»Was hast du da eigentlich mitgebracht?«, fragte Daisy, die jetzt erst die Tasche bemerkte, die er neben sich abgestellt hatte.
Er lächelte. »Das ist für dich. Ich hab mir gedacht, das ist der richtige Zeitpunkt, es sich anzusehen. In dieser Schachtel sind lauter Dinge, die mit dir zu tun haben. Deine Mum hat für jeden von euch so eine Sammlung angelegt. Sie hat alles liebevoll zusammengetragen, was sie in eurem Leben für wichtig hielt. Ich nehme an, sie hat auch einen Brief von sich dazugelegt, du weißt ja, wie vorausschauend sie war.«
Daisy zog den Reißverschluss auf. In der Tasche befand sich eine rechteckige Blechdose mit einem Griff, die wie eine
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