Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
ging ihm beim Setzen der Sämlinge zur Hand, beim Unkrautjäten und beim Ausmisten des Kuhstalls. Obwohl er nie etwas sagte, spürte sie, wie sehr Ellen ihm fehlte, und sie genoss es, dass er die Zuneigung, die er seiner Ältesten entgegengebracht hatte, zumindest teilweise auf sie übertrug.
Das Einzige, was Josie Kopfzerbrechen bereitete, war ihre Mutter. Sie verachtete sie wegen ihrer schlampigen Erscheinung und ihrer Verbitterung, aber sie war trotz allem ihre Mutter. Was sollte aus ihr werden, wenn sie von zu Hause fortging?
Albert würde die Farm niemals verkaufen und Violet das Geld für einen Neuanfang geben, das stand fest. Früher oder später würde eine ihrer Auseinandersetzungen damit enden, dass er sie hinauswarf. Obwohl sie noch so jung war, wusste Josie, dass das Rechtssystem Frauen benachteiligte, vor allem dann, wenn sie keine kleinen Kinder mehr zu versorgen hatten. Von ihrer Familie in Helston hätte Violet auch keine Unterstützung zu erwarten. Blieb also nur Josie.
Sie verschlang jeden Artikel über London, und sie sehnte sich nach dieser Welt swingender Diskotheken, Boutiquen, Pubs und Endlospartys. Doch mit ihrer Mutter im Schlepptau würde sie niemals dazugehören.
Josie sah keinen anderen Ausweg, als spurlos zu verschwinden. Sollte ihre Mutter selbst sehen, wie sie zurechtkam. Ihr schlechtes Gewissen besänftigte Josie damit, dass sie sich einredete, es sei schließlich nicht ihre Schuld, wenn ihre Eltern einander hassten. Sie hatte nicht das Gefühl, ihrer Familie irgendetwas schuldig zu sein. Ihr Dad hatte stets Ellen bevorzugt. Ellen ließ kaum noch etwas von sich hören. Und wäre ihre Mutter nicht so ekelhaft zu ihren Verwandten gewesen, hätten die sie auch nicht verstoßen. Dennoch war ihr bei dem Gedanken, einfach abzuhauen, schon ein bisschen mulmig zu Mute. Was, wenn sie nun keinen Erfolg in London haben würde?
»Du wirst Erfolg haben«, sagte sie sich immer und immer wieder wie ein Mantra. »Du wirst nicht so eine Versagerin werden wie Mum.«
Josies fünfzehnter Geburtstag Anfang Juli sollte sich als Wendepunkt in ihrem Leben herausstellen. Er fiel auf einen Freitag, und Violet hatte ausnahmsweise erlaubt, dass sie das Wochenende bei ihrer Schulfreundin Rosemary Parks in deren Elternhaus in Falmouth verbrachte.
Bevor sie an diesem Morgen in die Schule ging, öffnete Josie ihre Geschenke und die Glückwunschpost. Sie war selig, als sie das Minikleid auspackte, das sie seit Wochen in der Auslage eines Geschäfts in Falmouth bewundert hatte.
»Es ist viel zu kurz«, meinte ihr Dad kopfschüttelnd, als sie es anprobierte. Seine Miene verriet nicht direkt Missbilligung, sondern eher Verwirrung. »Aber wahrscheinlich bin ich zu altmodisch.«
Josie betrachtete sich im Flurspiegel. Das Kleid war einfach umwerfend, genau wie die Modelle in den Modezeitschriften. Es hatte ein großes geometrisches Muster in Schwarz und Weiß, schmale Träger und einen leicht ausgestellten Rock, der eine gute Handbreit über dem Knie endete. Sie sah aus wie eines der Fotomodelle in den Illustrierten. Sie wünschte, sie könnte es in die Schule anziehen, doch das ging nicht, die Schuluniform war Pflicht. Sie würde sich damit trösten, dass sie es das ganze Wochenende über tragen konnte.
Ellen hatte ihr eine kleine weiße Umhängetasche geschickt, und Onkel Brian hatte seiner Karte einen Zehnpfundschein beigelegt.
»Gib nicht alles aus«, ermahnte ihre Mum sie, als Josie das Geld in die Handtasche steckte. »Du brauchst noch ein paar Sachen, wenn du zu arbeiten anfängst.«
Josie gab keine Antwort. Das war typisch für ihre Mutter: Immer versuchte sie, ihr die Freude zu verderben. Da sie direkt von der Schule zu Rosemary fahren wollte, hatte sie schon einen kleinen Koffer gepackt. Sie klappte ihn auf, faltete das neue Kleid und legte es zusammen mit der Handtasche obenauf.
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte ihre Mutter scharf. »Und sei brav. Nicht, dass mir zu Ohren kommt, du hättest dich auf der Straße rumgetrieben.«
Josie seufzte. »Klar, Mum. Ich muss jetzt los, sonst verpass ich den Bus. Sonntagabend bin ich wieder da. Rosemarys Vater bringt mich.«
Rückblickend fand sie es merkwürdig, dass sie ihren Eltern zum Abschied einen Kuss gegeben hatte. Das tat sie sonst nie. Und noch merkwürdiger war, dass ihr Dad sie umarmt, ihr gesagt hatte, dass sie sehr hübsch aussehe, und ihr viel Spaß gewünscht hatte.
Um vier Uhr an diesem Nachmittag war die Schule aus. Vor lauter
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