Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
anständig zu bleiben. »Ich hoffe wirklich, dass du zu deiner Momma zurückkehrst, Herzchen. Aber wenn du das nicht kannst, dann such dir einen guten Job, und sobald du den hast, eine hübsche Wohnung. Schau dich gut da draußen um. Und sieh zu, dass du von hier verschwindest, solange du noch kannst.«
10. Kapitel
W ährend Josie in ihrer Dachkammer saß und weinte, schluchzte auch Ellen in ihr Kopfkissen. Tagsüber gelang es ihr, sich zusammenzunehmen, doch sobald sie Nicholas und Simon ins Bett gebracht hatte, wurde sie von Kummer und Schmerz überwältigt.
Als Mr. und Mrs. Sanderson sie mit ihren beiden kleinen Söhnen vom Bahnhof in Bristol abgeholt hatten, schien es Ellen, als hätten sich all ihre Probleme in Luft aufgelöst. Die Sandersons, verständnisvolle, intelligente und praktisch denkende Leute, machten einen sehr netten Eindruck. Sie besaßen einen Lebensmittelgroßhandel, und Mrs. Sanderson hatte ihre liebe Not, ihre Arbeit im Geschäft, den Haushalt und die beiden Kinder unter einen Hut zu bringen. Sie waren genauso froh, endlich eine Haushaltshilfe zu bekommen, wie Ellen dankbar für die angebotene Stelle und den Familienanschluss war.
Schon am ersten Abend hatte Ellen gefühlt, dass alles gut werden würde. Roger und Shirley hatten ihr gleich das Du angeboten, und Shirley hatte ihr ein paar ihrer alten Umstandskleider geschenkt, die ganz bezaubernd waren. Der fünfjährige Nicholas und der dreijährige Simon hatten Ellens Herz im Sturm erobert. Sie waren gut erzogene, drollige kleine Burschen, die überglücklich über die neue Hilfe waren, weil sie nun nicht mehr zur Oma, zur Tante oder zu einer Nachbarin abgeschoben wurden, wenn ihre Mutter ins Geschäft musste.
Das Haus der Sandersons war nichts Besonderes, eine Doppelhaushälfte mit drei Schlafzimmern im Vorort Westbury Park, doch Ellen erschien es wie das Paradies: Es war warm, gemütlich und verfügte über jeden nur erdenklichen Komfort wie Fernseher, Kühlschrank, Waschmaschine, Teppichböden und, was sie gar nicht kannte, Zentralheizung. Das Schönste jedoch war die moderne Einstellung der Sandersons. Sie waren erst Anfang dreißig, ehrgeizig und entschlossen, es zu etwas zu bringen. Andererseits waren sie aber auch sehr lebenslustig. Ständig kamen Freunde zu Besuch, und es verging fast kein Wochenende, an dem sie nicht zu einer Party gingen oder selbst eine gaben. Was die Betreuung ihrer Kinder betraf, so ließen sie Ellen völlig freie Hand.
In den ersten Wochen verschwendete Ellen kaum einen Gedanken an ihre Familie. Es war wundervoll, morgens in dem Bewusstsein aufzuwachen, dass es keine hässlichen Szenen mit Violet geben würde und sie keine Angst zu haben brauchte, ihr Vater könnte hinter ihr Geheimnis kommen. Die Hausarbeit schaffte sie spielend, und die Jungen fanden es toll, jemanden zu haben, der mit ihnen spielte, ihnen vorlas und mit ihnen spazieren ging.
Erst im Januar, als die erste Untersuchung in der Entbindungsklinik anstand, wurde Ellen wieder daran erinnert, dass sie die Sandersons im März verlassen und in das Heim für ledige Schwangere ziehen musste.
An einem Abend Ende Februar, als es schneite und sie in der Küche bügelte, setzte sich Shirley zu ihr und lackierte sich die Fingernägel. Ellen war vom ersten Tag an von Shirleys gepflegtem, elegantem Äußeren beeindruckt gewesen. Sie war schlank, trug das blonde Haar zu einer Hochfrisur aufgesteckt und ging nie ungeschminkt oder mit unlackierten Nägeln aus dem Haus.
Ellen hatte sich ein paar Tage zuvor in Begleitung einer Sozialarbeiterin das Heim angeschaut und Shirley gerade gestanden, ihr sei nicht ganz wohl bei dem Gedanken an den Umzug dorthin.
»Dann bleib doch hier«, schlug Shirley unvermutet vor. »Du gehörst jetzt praktisch zur Familie, also kannst du genauso gut bei uns bleiben, bis es so weit ist.«
»Aber ...« Der Gedanke war verlockend, doch wo sollte sie nach der Entbindung hin, wenn sie den Platz im Heim ablehnte?
»Ich meine, wir würden uns freuen, wenn du auch nach der Entbindung bei uns bliebest«, versicherte Shirley, als hätte sie ihre Gedanken erraten.
Ellen schluckte. Sie hätte nicht gedacht, dass die Sandersons so an ihr hingen. »Aber ich muss doch ins Heim«, erinnerte sie Shirley bedauernd. »Weil die Adoption und all das von dort aus arrangiert werden.«
»Das kann man genauso gut vom Krankenhaus aus, und zwar weitaus weniger schmerzhaft«, widersprach Shirley scharf. Sie blies über ihre Fingernägel, damit der
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