Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
Lack trocknete, und fuhr fort: »Ich finde es grausam, das Baby bis zu sechs Wochen nach der Entbindung bei der Mutter zu belassen. Es wäre besser, wenn du dich gleich von ihm trennen würdest, bevor es dir zu sehr ans Herz wächst.«
»Die Heimleiterin meinte, die sechs Wochen sollen einem Gelegenheit geben, sich den Entschluss reiflich zu überlegen.«
»Das mag auf die Mädchen zutreffen, die einen Freund haben, der sie vielleicht heiratet, oder eine Familie, bei der sie Unterstützung finden«, entgegnete Shirley und trug eine zweite Schicht Nagellack auf. »Aber du hast schließlich weder das eine noch das andere, oder?«
Ellens Probleme schienen mit einem Schlag gelöst zu sein, und sie war dankbar, dass Shirley die Sache in die Hand nahm. Einige Tage später hatte sie einen Termin bei Dr. Fordham, einer im nahen Clifton praktizierenden Ärztin und privaten Vermittlerin von Adoptionen. Zu ihr würde Ellen von nun an auch zu den Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen gehen. Das Kind, erklärte Dr. Fordham, werde nach der Geburt zunächst einmal in die Obhut einer Pflegemutter gegeben.
Ellen hatte nie über Alternativen zur Adoption nachgedacht. Niemand hatte mit ihr darüber gesprochen, sodass sie zu dem Schluss gelangt war, eine Adoption sei die einfachste und am wenigsten schmerzhafte Lösung. Nach der Entbindung stünde es ihr frei, ob sie nach Cornwall zurückkehren oder lieber ein College besuchen oder einen Beruf ergreifen wollte. Kein Mensch bräuchte je von der Schwangerschaft zu erfahren.
Doch sie hatte nicht mit den starken Empfindungen gerechnet, die ihre kleine Tochter in ihr hervorrufen würde.
Sie hatte siebzehn Stunden in den Wehen gelegen, war völlig erschöpft und wollte nichts weiter als schlafen. Aber als die Hebamme ihr das Mädchen in die Arme legte und sie das winzige, zerknitterte, mürrische Gesicht sah, war ihre Müdigkeit wie weggeblasen.
Das Wunder neuen Lebens barg keine Geheimnisse für Ellen. Sie hatte auf der Farm unzählige Male geholfen, wenn eine Kuh gekalbt oder ein Schaf gelammt hatte. Sie hatte beobachtet, wie die Muttertiere das Neugeborene zärtlich anstupsten und ableckten, es säugten und mit ihrem Leben verteidigten. Dennoch hatte sie nicht erwartet, dass sie auf ihr eigenes Kind genauso reagieren würde.
Sie liebkoste die weiche Haut, sah die winzigen Finger, die sich um ihren Zeigefinger schlossen, und verspürte auf einmal das unbändige Verlangen, ihr Kind zu stillen und es nie wieder herzugeben. Sie konnte es kaum ertragen, auch nur für kurze Zeit von der Kleinen getrennt zu sein.
Sie nannte sie Catherine. Nur vier Tage waren Ellen mit ihr vergönnt. Ständig wurde ihr das Kind weggenommen, weil es gebadet, gewickelt oder untersucht werden musste. Einmal bat sie die Schwester, es ihr doch nicht schon wieder wegzunehmen. Daraufhin drehte die Frau sich um, musterte sie streng und erwiderte barsch: »Wieso? Sie wollen die Kleine doch sowieso loswerden!«
Als Shirley sie besuchen kam, sprach Ellen mit ihr über ihre Gefühle. Sie weinte und fragte, ob es denn keinen Weg gebe, Catherine zu behalten. Die Adoptiveltern seien bereits ausgesucht worden, meinte Shirley, und wenn sie das Baby behalten wolle, sehe sie nur eine Möglichkeit: Sie müsse mit dem Kind unverzüglich nach Cornwall zurückkehren.
Vielleicht hätte sich Ellen dazu entschlossen, wenn sie ein bisschen mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hätte. Selbst der Gedanke an Violets Gehässigkeit schreckte sie nicht so sehr wie der an die Trennung von ihrem Kind. Doch ihr Zustand erlaubte es noch nicht, dass sie das Bett verließ, sie hatte weder Kleidung für sich noch für Catherine da und auch kein Geld.
Ohne Rücksprache mit ihr holte die Pflegemutter, die Catherine für sechs Wochen in ihre Obhut nehmen würde, das Kind ab. Die Kleine müsse gebadet werden, hatte die Schwester behauptet, doch als Ellen nach Catherine schauen wollte, fand sie nur noch ein leeres Bettchen mit der Beschriftung Säugling Pengelly. Mädchen, 2862 g vor.
Dass man ihr die Möglichkeit genommen hatte, sich von ihrem Kind zu verabschieden oder um ein bisschen Bedenkzeit zu bitten, damit sich eine andere Lösung fände, war das Grausamste gewesen. Man hatte sich einfach über ihre Rechte und ihre Gefühle hinweggesetzt.
Als Shirley und Roger wenig später kamen, um sie nach Hause zu holen, fanden sie sie völlig aufgelöst vor.
»Das sind nur die Nerven, weil am vierten Tag die Milch einschießt und man Depressionen
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