Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
Blickfeld. Sie kam ihnen auf dem Weg entgegen, das Gesicht angespannt, mit einigen Schmutzflecken auf dem hellen Kleid.
„Ohje“, entfuhr es Tante Agnes, „da ist etwas passiert!“
Anna rannte ihrer Schwester ganz undamenhaft entgegen. Diane hielt das trippelnde Pferd an, als sie auf gleicher Höhe waren.
„Diane, ist dir etwas passiert?“ erkundigte Anna sich aufgeregt und sah zu der lädierten Reiterin besorgt hinauf.
„Ich bin nur etwas schmutzig geworden“, erklärte ihr Diane leicht zerknirscht. „Aber von jetzt an gehorcht er mir, der kleine Trotzkopf.“
Sie saß ab. Als ihre Füße den Boden berührten, knickte der linke Fuß weg und sie gab einen Schmerzenslaut von sich: „Au!“.
Anna griff eilfertig nach demArm ihrer Schwester. „Du hast dich doch verletzt!“
Diane richtete sich auf, straffte den Rücken und warf Herrn Adlam, der in einigen Metern Entfernung die Szene beobachtete, einen überaus selbstbewussten Blick zu.
„Ich kaufe ihn“, sagte sie.
„Das kann mir nur recht sein“, war die Antwort.
------- DIANE VON RODER ------
Dass sie sich bei ihrem unfreiwilligen Abstieg von dem neuen Pferd den Knöchel verstaucht hatte, war nichts weiter, als eine Art kleine Notlüge. Die vorgetäuschte Verletzung ermöglichte es ihr, den Plan zu verwirklichen und die Nacht im Hause Adlam zu verbringen, wie sie es vor einigen Jahren schon einmal getan hatte. Allerdings war sie diesmal eine erwachsene Frau. Und sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass ihr Gastgeber den heutigen Besuch nicht mehr so einfach vergessen sollte.
Mit einem verstauchten Knöchel würde Robert Adlam sie sicher nicht auf den stundenlangen Ritt nach Hause schicken. Und ihr Vater würde sowieso erst in einer Woche von seiner Geschäftsreise zurück sein, deshalb machte ein Tag Abwesenheit mehr oder weniger nichts aus. Herr Adlam bot ihr an, den Doktor aus dem Dorf holen zu lassen, doch Diane lehnte ab. Nach einigen Stunden Ruhe sei sicher wieder alles in Ordnung. Sie könne morgen problemlos den Heimweg antreten. Was das Pferd betraf: Sie würde den trotzigen, jungen Wallach mitsamt seinen Papieren später abholen lassen, von einem Boten, der Herrn Adlam gleichzeitig das Geld dafür aushändigen würde.
Die Haushälterin Magarete bekam die
Anweisung, die Gästezimmer vorzubereiten. Und bei einem gelungenen Abendessen in der Wohnstube kam ein Gespräch mit Herrn Adlam zustande, währenddessen Diane zunehmend spürte, dass er nicht so unnahbar war, wie es bei oberflächlicher Betrachtung schien. Diane war es zu ihrem Bedauern jedoch nicht möglich, die Oberflächlichkeit des Gesprächs ganz zu durchbrechen, denn Tante Agnes passte sehr genau auf, dass sich keiner ihrer beiden Schützlinge daneben benahm. Und wenn die Tante einmal ärgerlich wurde, das wusste Diane ganz genau, dann war nicht mehr mit ihr zu spaßen.
Schon kurz nach Beendigung des
Abendessens zogen sich die drei Frauen zurück. Herr Adlam entschuldigte sich, er habe noch zu tun. Diane machte sich im edel ausgestatteten Gästebad frisch. Sie hatte nicht vor, den Abend mit ihrer kleinen Schwester Anna unter den Augen der wachsamen Tante zu verbringen. Deshalb hatte sie sich bei den beiden anderen entschuldigt, sie sei müde und wolle lieber früh schlafen gehen.
Sie betrachtete ihr Gesicht in dem großen, runden Spiegel im Bad. Tiefblaue, leicht schräg gestellte Augen blickten ihr unter schwarz gefärbten Wimpern entgegen. Das Interesse, das die jungen Herren der feinen Lindheimer Gesellschaft ihr entgegenbrachten, wurde nur halbherzig von ihr erwidert. Der kleine Kreis der jungen männlichen Adeligen, den ihr Vater für eine angemessen hohe Elite hielt, strahlte eine derart gepflegte Langeweile aus, dass Diane keine andere Wahl blieb, als die Verehrer abzuweisen.
Robert Adlam erschien ihr da vielversprechender. Diane war beeindruckt von seiner Ausstrahlung, der Atmosphäre, die ihn umgab. Und er hatte, genau wie sie selbst, ganz offensichtlich für die vielgepriesenen Benimm-Regeln nur Geringschätzung übrig. Diese waren nur geschaffen, um Menschen einzuengen und ihre Gedanken auf eigentlich unwesentliche Dinge zu fokussieren. Gleichzeitig konnte sie ihn aber nicht durchschauen, so, wie sie viele andere schon auf dem ersten Blick durchschaut hatte. Sie wusste nicht einmal, ob auch er etwas für sie übrig hatte: Auch das reizte sie.
Sie verließ das Bad, das sich im oberen Stock befand, und ging über den Flur, an dem Zimmer vorbei, wo
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