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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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darauf an.«
    Er holte tief Luft und gab dann zu:
    »Ich war mit einer Frau zusammen. Ich habe die Nacht mit ihr verbracht.«
    Kein Kommentar.
    »Kann sie das bestätigen?«
    »Wenn das unbedingt notwendig ist.«
    Das war es nicht mehr. Betretenes Schweigen machte sich breit, jeder verlor sich in seinen eigenen Gedanken. François’ Gedanken drehten sich um die Ermittlung. Und zwar ausschließlich darum. Den Motorradfahrer in Soutane konnten sie von der Liste streichen. Er mochte eine etwas obskure Person sein, aber er hatte nichts Verwerfliches getan. Jedenfalls nicht in dem Bereich, über den die Menschen zu Gericht saßen.
    Julia ergriff das Wort.
    »Wir sind alle Sünder, Pater. Der Herr fordert uns heraus, und er ist der Einzige, der uns richten kann.«
    »Ersparen Sie mir Ihre Predigten. Ich brauche Ihr Mitleid nicht.«
    »Darum geht es nicht. Sie haben gerade erzählt, dass Sie mit dem Opfer über sein religiöses Engagement gesprochen haben. Ich wüsste gerne, ob er an seinem Glauben zweifelte.«
    Der Geistliche zündete sich noch eine Zigarette an. Jetzt verrieten ihn seine nervösen Hände.
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Pierre war ein braver Junge. Zu brav wahrscheinlich. Er dürfte sich nach mehr Luft zum Atmen gesehnt haben. Wir nehmen an, dass er bei dem Versuch, sich zu befreien, dem Raubtier über den Weg gelaufen ist.«
    »Und?«
    »Sie sind ihm mehrmals begegnet. Ihre Denkart hat ihm bestimmt gefallen, hat ihn wahrscheinlich bestärkt. Also erzählen Sie uns von ihm. Sagen Sie uns, was ihn quälte. Was er vorhatte, um da herauszukommen.«
    Pater Marcel senkte den Blick.
    »Da bitten Sie mich um eine heikle Sache.«
    »Weshalb?«
    »Weil die Dinge, die Pierre mir anvertraut hat, dem Beichtgeheimnis unterliegen.«
    »Verstehe«, sagte Julia. »Aber denken Sie daran, was geschehen ist. Gott wird es ihnen nicht übel nehmen.«
    François war völlig baff. Julia brachte den Pfarrer allein durch ihre Aufrichtigkeit dazu, sein Gelübde zu brechen. Der Geistliche sah zum Kruzifix hinüber. Er schloss die Augen, als bitte er im Voraus um Absolution. Dann erläuterte er:
    »Dieser Junge war innerlich völlig zerfressen. Das Böse zog ihn an, stärker als ein Magnet. Ich habe versucht, ihn zur Vernunft zu bringen. Ohne Erfolg.«
    »Er war also nicht mehr gläubig?«, fragte Julia.
    »Sein Glaube war eine leere Schale. Abgestorbene Haut. Er wartete nur auf eine Gelegenheit, sich davon zu befreien.«
    »Hat er sie gefunden?«
    Zögern. Dann eine allzu schroffe Antwort:
    »Findet es heraus.«
    In dem Tonfall schwang ein wenig Schuldbewusstsein mit. Der Biker hatte nicht alles preisgegeben, bei weitem nicht. Schützte er jemanden? Marchand übernahm wieder das Kommando.
    »Was haben Sie getan, um ihn von diesem Weg abzubringen?«
    »Ich habe mit ihm gesprochen.«
    »Ist das alles?«
    Wieder ein Zögern. Er griff nach dem Kreuz, das er vor der Brust trug, und hielt es fest.
    »Nein.«
    Diesmal ließ der Profiler das Schweigen seine Wirkung tun. Ein innerer Konflikt schien Pater Marcel zu quälen. Nach ein paar Sekunden machte er seinem schlechten Gewissen Luft.
    »Ich wollte ihm eine Art Schocktherapie verpassen. Ihm vor Augen führen, was ihn auf dem Weg in die Finsternis erwartet.«
    »Wie denn?«
    »Ich habe ihn nach Sabons mitgenommen, in ein besetztes Haus nicht weit von der Île Verte. Dort gibt es von allem etwas. Penner, Drogensüchtige, Diebe – die ganze Palette des menschlichen Elends.«
    »Seine Reaktion?«
    Pater Marcel biss die Zähne zusammen.
    »Er fand es toll …«
    »Glauben Sie, er ist ohne Sie dorthin gegangen?«
    »Ich weiß nicht …«
    Der Pfarrer wagte es nicht, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Dadurch, dass er Pierre dorthin gebracht hatte, war die weitere Entwicklung ins Rollen gekommen. Wenn man am Absaufen ist, schnappt man nach jedem bisschen Luft, das man kriegen kann. Der Jugendliche war auf eine ganze Sauerstoffflasche gestoßen.
    Er war zu dem besetzten Haus zurückgekehrt.
    Davon war François überzeugt.
    27
    Die Höhle des Teufels.
    Wenn François dem Ort einen Namen hätte geben müssen, dann hätte er diesen gewählt. In Wahrheit war es noch viel schlimmer als das. Es schwanden einem die Sinne, und jeder Versuch, das Ganze zu beschreiben, war absurd.
    Die Kommune begann schon am Flussufer: eine Ansammlung von Hütten, die man aus Karton und Wellblech gebaut hatte und die mit Isolierband zusammengehalten wurden. Einkaufswagen aus dem Supermarkt standen herum, gefüllt

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